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Nur ein Blick von dir

Nur ein Blick von dir

Titel: Nur ein Blick von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. C. Ransom
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materialisiert, dass ich die Falten in seinem Gesicht, die Schatten unter seinen Augen und die hageren Wangen deutlich erkennen konnte. »Im Ernst, Callum, hier unten siehst du locker zwanzig Jahre älter aus. Gehen wir doch nach oben, wo du wieder ganz du selbst bist – und umwerfend.«
    »Das ist ganz in meinem Sinne.« Ein Lächeln erhellte vorübergehend sein düsteres Gesicht. »Wenn wir das nächste Mal diese Abkürzung nehmen, ziehe ich meine Kapuze über, dann erschrickst du nicht so.«
    Ich lächelte zurück, doch ein kleiner Schauder rieselte mir über den Rücken. Das Amulett und
St. Paul’s
taten wirklich ihr Bestes, mein Leben noch unheimlicher werden zu lassen.
    Als wir dann über den großen Mosaikstern im Mittelbau der Kathedrale gingen, warf ich ihm wieder einen verstohlenen Blick zu und war erleichtert, dass er auf Bodenhöhe wieder fast wie sonst aussah. Ehe wir zum Fuß der Haupttreppe kamen, blieb er stehen.
    »Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«
    »Natürlich.«
    »Hättest du was dagegen, wenn wir auf der Flüstergalerie kurz anhalten? Da ist jemand, der sehr gerne mit dir sprechen möchte.«
    Ich zögerte einen Wimpernschlag zu lange. Ich wollte eigentlich nicht noch einmal mit Matthew reden. Jemanden mit Hilfe des Amuletts in den eigenen Kopf zu lassen war eine seltsam intime Angelegenheit. Nur bei Callum fand ich das richtig, aber das wolle ich Matthew besser nicht wissen lassen. »Klar, meinetwegen. Weißt du, worüber er mit mir sprechen will?«
    »Es ist nicht Matthew, es ist Olivia.«
    »Oh. Weshalb will sie mit mir reden?«
    »Sie hat ein ganz schlechtes Gefühl wegen dem, was dir mit Catherine passiert ist, und sie hat Angst, dass du glaubst, sie hätte Schuld daran.«
    Plötzlich empfand ich kurz ein schlechtes Gewissen. Ohne Olivia je gesehen zu haben, hatte ich automatisch eine Abneigung gegen sie entwickelt, nur weil Catherine mir erzählt hatte, Callum würde sie mir vorziehen. Ich wusste, das war gemein und kaltherzig, und als mir Callum dann gesagt hatte, dass das alles Unsinn wäre, glaubte ich ihm das sofort. Doch immer noch wollte ich nicht wirklich mit ihr sprechen. Aber wenn Callum es wollte, würde ich mir einen Ruck geben.
    »Ist in Ordnung. Bringst du mich zu ihr?«
    »Großartig. Ich gehe mal und sag ihr Bescheid, solange du hochsteigst. Wenn du oben bist, halt dich nach links. Ich sag dir dann, wo du stehen bleiben sollst.«
    »Ist gut. Bis gleich.« Ich spürte den Lufthauch, als er sich bückte, um mich auf die Wange zu küssen.
    Während ich mich der langen Schlange von Menschen anschloss, die sich die endlose Wendeltreppe nach oben drängten, versuchte ich, nicht an meine natürliche Abneigung gegenüber Olivia zu denken. Ich stellte sie mir als eine große dunkle und betörende Schönheit vor, als jemand, der von Callum in ihrer eigenen Dimension getröstet werden konnte. Automatisch ballte ich die Hände zu Fäusten und zwang mich, Ruhe zu bewahren. Ganz so schlecht konnte sie nicht sein, überlegte ich, wenn sie mit mir sprechen wollte. Und Callum schien sie echt gerne zu mögen.
    Ohne großen Erfolg versuchte ich, sie aus meinen Gedanken zu verbannen, während ich mich die endlose Treppe hochschleppte. Als ich oben ankam, blieb ich einen Moment stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Dabei konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, einen schnellen Blick in den Spiegel zu werfen. Wenn ich schon dabei war, meine Rivalin zu treffen, wollte ich zumindest sicher sein, dass mir nichts an den Zähnen klebte. Doch das Gesicht, das mich aus dem Spiegel anglotzte, war rot und außer Atem. Ich seufzte resigniert und ging los zur Galerie.
    Einen Moment später sah ich die transparente Gestalt auf mich zukommen. Ich lächelte Callum an und spürte das vertraute Prickeln am Unterarm, als er sein Amulett auf meines legte. »Hi«, sagte er. »Alles in Ordnung? Ich hab gesehen, wie du oben an der Haupttreppe gezögert hast.«
    »Nur ein bisschen nervös«, gab ich zu.
    »Du und nervös? Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
    »Dann weißt du aber viel über Frauen«, brummelte ich leise und vergaß für einen Augenblick, dass er jedes Wort verstehen konnte.
    »Ist das dein Ernst? Du bist nervös, weil du Olivia triffst?« Er brüllte fast vor Lachen. »Das ist toll. Schon den ganzen Morgen, seit ich ihr gesagt hab, dass du kommst, ist sie total durcheinander. Ihr beide habt Angst voreinander!«
    »Ich hab keine Angst«, bemerkte ich eingeschnappt. »Ich bin einfach

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