Nur ein Blick von dir
Du bist meine beste Freundin, und ich habe es gehasst, solche Geheimnisse vor dir zu haben.«
»Ich wünschte, ich hätte schon früher von der Halluzination erzählt, dann hättest du nicht so lange alles alleine mit dir abmachen müssen.«
Ich lächelte kurz. »Die Sache ist nur die: Ich bin völlig fertig und kann nicht mehr klar denken. Ich glaube, ich muss mich jetzt ein bisschen ausruhen.«
»Oh, Alex, tut mir leid. Ich hab dir so viele Fragen gestellt. Was machen die Schrammen?«
»Na ja, neben dem Mist im Gesicht hab ich noch hinterm Ohr eine Beule, so groß wie ein Hühnerei, und einen sensationellen Bluterguss am Arm.« Ich schob den Ärmel hoch, und Grace schnappte hörbar nach Luft. Die roten Striemen waren dunkler geworden, und die Umrisse des Schlägerkopfs gleich unter der Schulter waren deutlich zu erkennen.
»Alex, du solltest wirklich zur Polizei gehen. Du hast Glück gehabt, dass sie dich nicht umgebracht hat.«
»Das kann ich nicht, Grace! Was soll ich denen denn sagen? Sie weiß so viel von mir, dass sie einfach alles verdrehen kann, und ich möchte es nicht riskieren, noch mehr Ärger zu kriegen. Nein, ich muss das irgendwie alleine hinkriegen.«
»Nicht ganz alleine. Ich bin auch noch da, und ich helfe dir, so gut ich kann.«
»Aber willst du wirklich da mit reingezogen werden? Es ist gefährlich.«
»Du brauchst Hilfe, und ich bin deine beste Freundin. Und beste Freunde machen so was.«
»Danke, Grace. Ich bin dir wahnsinnig dankbar.«
»Es tut mir leid, Süße, ich hätte nicht so lange bleiben dürfen. Du musst ziemliche Schmerzen haben.«
Ich drückte ihr kurz die Hand. »Es hat so gutgetan, endlich mit dir zu reden. Aber ich hab solche Kopfschmerzen, dass mir bald der Kopf platzt. Trotz der Pillen. Ich glaub, ich muss bald ins Bett.« Ich holte tief Luft und schaute sie an. »Erzähl bitte niemandem davon, ja?« Ich zeigte mit meinem heilen Arm auf die Schrammen. »Ich möchte das echt nicht jedem erklären müssen.«
Sie zögerte ganz kurz mit ihrer Antwort. »Sicher, wenn du unbedingt willst. Aber du wirst den Leuten irgendwas erzählen müssen. Über Nacht kriegst du dein normales tolles Aussehen nicht zurück.«
Ich schwenkte meinen Stuhl herum und schaute in den Spiegel. Die ganze letzte Zeit hatte ich im Spiegel nach Callum gesucht und nicht so sehr auf mein Gesicht geachtet. An den Wangenknochen war die Haut aufgeschürft, und trotz meiner Bemühungen vorhin hing immer noch feiner Kies in den Schrammen. Es blutete nicht richtig, doch es sickerte leicht heraus, und auf meiner Lippe bildete sich dicker Schorf. Ich nahm mir ein Papiertaschentuch und drückte es mit zusammengebissenen Zähnen vorsichtig aufs Gesicht. Als ich es abzog, sah ich, dass sich weiter unten auf meiner Wange ein großer Bluterguss bildete. Grace hatte recht. Ich sah schrecklich aus, und ich würde auch noch länger schrecklich aussehen.
»Ich sehe ja furchtbar aus! Morgen bin ich einfach krank, da kann es sich ein bisschen zu beruhigen.« Ehe ich es verhindern konnte, seufzte ich abgrundtief, und Grace blickte mich mitfühlend an.
»Dann brauchst du aber immer noch eine gute Geschichte als Ausrede«, erinnerte sie mich leise.
»Ich hab der Nachbarin erzählt, dass ihr Hund mich umgerissen hat, und weil meine Hände in der Leine verheddert waren, konnte ich mich nicht abfangen.«
Grace dachte einen Moment darüber nach und schürzte dabei die Lippen, was unbewusst hervorhob, wie makellos ihre Wangenknochen waren. »Das funktioniert wahrscheinlich. Du musst nur dafür sorgen, dass Josh die Story auch kennt. Du willst ja sicher nicht, dass er deinen Eltern erzählt, was hier wirklich passiert ist, als sie weg waren. Kannst du dir ihre Reaktion vorstellen?«
»Nein … also, ich meine natürlich ja, klar kann ich mir das vorstellen. Das wäre nicht so toll. Ich sehe zu, dass er den Mund hält.«
»Gut. Dann gehe ich jetzt. Ruf mich an, wenn dir danach ist, dann komm ich rüber. Du brauchst etwas Nachhilfe in Tarn-Make-up.« Sie umarmte mich fest, drückte dabei unbeabsichtigt meinen verletzten Arm, und ich brauchte all meine Kraft, um nicht aufzuschreien.
»Danke, dass du gekommen bist«, gelang es mir schließlich zu keuchen. »Und danke fürs Zuhören. Wir sehen uns dann morgen.«
Ich hörte, wie sie noch kurz mit Josh sprach, ehe die Haustür zufiel, und dann setzte ich mich mit pochendem Kopf auf mein Bett. Ich schaute auf die Uhr. Es war Zeit, wieder ein paar von den starken
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