Nur ein Blick von dir
Blutergüsse. In die Schule zu gehen stand gar nicht zur Diskussion. Ich rief das Sekretariat an und hinterließ eine Nachricht. Und ich hoffte, dass sie nicht erkannten, dass es nicht die Stimme meiner Mum, sondern meine war.
Ich sammelte meinen Laptop, die Schmerztabletten und einen Becher heißer Milch mit Honig zusammen und brachte alles zum Sofa, um dort für diesen Tag mein Lager aufzuschlagen. Josh würde bestimmt nicht vor Mittag auftauchen. So hatte ich ein paar Stunden, in denen ich mir Gedanken darüber machen konnte, wo Catherine steckte, und wie ich sie zwingen könnte, das Amulett wieder herauszurücken. Das würde wohl ziemlich schwierig werden. Sie ausfindig zu machen war nur ein logistisches Problem. Doch sie dazu zu bringen, ihr einziges Verteidigungsmittel herzugeben, würde erheblich schwieriger werden. Ich wollte nicht auf Gewalt zurückgreifen, wie sie es getan hatte, auch wenn ich eigentlich der Meinung war, dass sie es ganz und gar verdiente. Doch mir fiel kein anderes Druckmittel ein. Ich zwang mich, mir darüber im Moment keine Gedanken zu machen. Bis ich sie gefunden hatte, blieb alles andere sowieso nur reine Theorie.
Ich setzte mich auf dem Sofa zurecht, ging ins Internet und wartete auf eine Eingebung. Währenddessen sah ich die Nachrichten durch, ob vielleicht im Rest der Welt etwas passiert war, das ich verpasst hatte. Auf der Seite der BBC war nichts, das mein Interesse weckte, und so surfte ich ein bisschen weiter, ohne eigentlich zu wissen, wonach ich suchte. Ich wollte mich nur irgendwie beschäftigen, um nicht an das tiefe Loch zu denken, das ich in mir spürte. Doch jedes Mal, wenn mein Blick auf mein leeres Handgelenk fiel, überkam mich der Kummer wieder. Es war jetzt noch keine vierundzwanzig Stunden her, doch Callum fehlte mir wahnsinnig. Allein zu wissen, dass ich ihn nicht rufen konnte, wenn ich ihn brauchte, dass er nicht plötzlich mit dem verräterischen Prickeln im Arm auftauchen würde, war furchtbar. Und sosehr ich es auch versuchte, ich konnte die Schwermut nicht abschütteln, die mich im Griff hatte, seitdem ich aufgewacht war.
Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich aufschreckte, als mein Handy klingelte. Und die Anruferin überraschte mich noch mehr. »Hallo, Ashley«, sagte ich misstrauisch.
»Es wundert mich überhaupt nicht, dass du heute die Schule schwänzt. Dir muss es ja total peinlich sein, dass jetzt jeder dein kleines Geheimnis kennt. Und ich muss schon sagen, das erklärt sehr viel!«
»Was meinst du denn? Welches Geheimnis?« Wie sollte sie denn irgendwas wissen? Ich wusste genau, dass Grace kein Wort gesagt hatte und besonders nicht zu ihr.
Ashley lachte rau. »Bist du in der letzten Zeit nicht auf Facebook gewesen? Da gibt es für dich noch einiges zu lernen!«
»Hör auf mit dem Mist, Ashley, und sag mir, worum es geht.«
»Aber mit Vergnügen! Wir waren alle davon entzückt zu erfahren, dass du einen Phantasiefreund hast, der ja so süß ist, waren aber auch ein kleines bisschen beunruhigt in Anbetracht deines Alters.«
»Wovon redest du denn? Welcher Phantasiefreund?« Ich versuchte, mit ruhiger Stimme zu sprechen, während mir das Blut in den Adern gefror.
»Callum! Hättest du nicht mit einem weniger lächerlichen Namen ankommen können?«
Ich konnte es nicht fassen. Da Grace bestimmt zu niemandem etwas gesagt hatte, konnte das nur ein weiterer von Catherines grausamen Streichen sein. Aber erst mal wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Wenn ich Ashley erzählte, es gäbe ihn wirklich, er würde nur im Ausland leben, hatte ich dieselben Probleme wie mit Grace. Und die Wahrheit konnte ich ihr nicht sagen. Also machte ich das einzig Mögliche: »Mit dir diskutiere ich das bestimmt nicht, Ashley«, sagte ich und unterbrach die Verbindung. Bevor sie erneut anrufen und noch weiter herumtönen konnte, wählte ich Graces Nummer, die einzige, die ich gespeichert hatte. Sie hatte wohl Unterricht, denn sofort schaltete sich die Mailbox ein.
»Grace, ich bin’s. Ruf mich doch gleich an, wenn du kannst. Eben hatte ich Ashley am Telefon, die mir liebend gern von Callum, meinem Phantasiefreund, erzählt hat. Weißt du, was da los ist? Bitte ruf bald zurück!«
Erschöpft und ausgelaugt ließ ich mich wieder auf die Kissen sacken. Catherine hatte schon wieder einen Weg gefunden, mich zu verletzen. Diesmal benutzte sie meine Freunde. Ich hatte keine Ahnung, warum sie das alles machte, und bevor ich sie nicht fand, hatte ich keine
Weitere Kostenlose Bücher