Nur ein Blick von dir
Schmerztabletten zu schlucken, doch sie würden alles nur etwas dämpfen. Und auch nur den körperlichen Schmerz. Der Schmerz und die Wut in meinem Herzen aber würden davon überhaupt nicht berührt werden.
Plötzlich wurde ich vom Klingeln des Handys aus meinen düsteren Gedanken geschreckt. Automatisch sah ich nach der Nummer, bevor ich mich meldete, aber sie war weggedrückt. Ich wartete noch ein weiteres Klingeln ab, dann drückte ich den Knopf.
»Hallo?«, sagte ich bestimmt.
Die mir inzwischen vertraute Stimme war kristallklar. »Ich wollte dir nur zu deinem geschickten Manöver von heute Nachmittag gratulieren. Denn eigentlich solltest du jetzt auf der Intensivstation liegen.«
»Und du solltest hinter Gittern sitzen, Catherine. Wegen Mordversuch.«
»Aber es gab keine Zeugen, Herzchen. Was für ein Jammer!«
»Ich brauche keine Zeugen. Ich hab den Beweis auf meinem Arm, wo du mich geschlagen hast.«
»Glaubst du im Ernst, dass du irgendjemand davon überzeugen kannst, dass ich dafür zuständig war? Ich sehe nicht gerade wie ein Mörderin aus, oder findest du?«
»Hör mal, ich hab genug von deinen Spielchen. Das Amulett gehört nicht dir, sondern mir. Und ich werde es zurückbekommen.«
»Und wie willst du das anstellen? Du hast doch keine Ahnung, wo ich bin. Du weißt doch nur, dass ich mich zurzeit an irgendeinem anderen Zipfel des Landes befinden könnte.«
»Tust du aber nicht, stimmt’s? Sonst könntest du mir ja nicht weiter das Leben schwermachen, oder?«
Ihr perlendes Lachen jagte mir einen Schauder über den Rücken. »Ach, du hast ja keine Vorstellung davon, absolut keine Vorstellung, wie unglücklich ich dich noch machen kann, ganz egal, wo ich gerade bin. Mit ein bisschen Glück bist du bald genauso unglücklich wie ich.«
Ehe ich sie fragen konnte, was sie damit meinte, war das Telefon tot. Ich bekam schrecklich Angst vor den abwegigen Dingen, mit denen sie vielleicht noch aufwarten würde. Und die ganze Zeit musste ich mir Callum vorstellen, wie er versuchte, mit ihr zu argumentieren, mit gerunzelter Stirn, widerspenstigem Haar und die weichen Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.
Mir war klar, dass ich mich nicht selbst quälen sollte, indem ich dauernd an Callum dachte, dass es viel wichtiger war, darüber nachzudenken, wie ich Catherine finden könnte, doch es ging nicht anders. Ich setzte mich wieder an den Tisch, zog den Spiegel näher und suchte jede Ecke des Zimmers wieder einmal nach einer Spur von ihm ab. Der Schmerz, den ich empfand, fraß sich immer tiefer. Und immer wieder bildete ich mir ein, ein Prickeln im Arm zu spüren. Doch jedes Mal, wenn ich dachte, dass er es geschafft haben könnte, dass er eine Möglichkeit gefunden hätte, dass er jetzt vielleicht hier bei mir war, merkte ich, dass ich mich getäuscht hatte. Ich befand mich alleine in meinem Zimmer, die Stille dröhnte in meinen Ohren. Geschlagen legte ich den Kopf auf den Tisch und versuchte, nicht allen glücklichen Gesprächen nachzuhängen, die wir an dieser Stelle geführt hatten.
Ich fragte mich, ob er mich hören konnte. Beobachtete er mich in diesem Augenblick? Ich hatte so gar keine Möglichkeit, das herauszubekommen. Eine Träne tropfte aus meinen Augen und rann über mein Gesicht. Da setzte ich mich schnell wieder auf, sauer auf mich selbst. Weinen brachte mir mein Amulett nicht zurück. Ich musste mir einen Plan überlegen, wie ich Catherine aufspüren konnte. Und wenn ich sie erst einmal gefunden hätte, bekäme ich auch das Amulett von ihr zurück, völlig egal, welche Konsequenzen das haben würde. Ich hatte noch nie mit jemandem gekämpft, aber das würde ich mit Zähnen und Klauen machen, um zurückzubekommen, was mir gehörte. Ich würde dafür sorgen, dass Catherine den Tag bereute, an dem sie mir das Amulett weggenommen hatte.
10. Träume
Irgendwas stimmte nicht so recht. In Richmond schien die Sonne, es war warm, und alle Menschen schienen zu lächeln. Ich ging über die Wiese, und mein Rock flatterte leicht im Wind. Wie gewöhnlich war es hier voller Menschen, die das gute Wetter genossen – Paare, die umschlungen im Gras lagen, Mütter mit kleinen Kindern, die herumtollten, ein Eis in der Hand, und Teenager, die in großen Gruppen herumstanden. Alle paar Minuten dröhnte ein Flugzeug über die Köpfe hinweg, doch niemand achtete besonders darauf.
Ich hatte nichts Bestimmtes vor, kein Ziel vor Augen, ich ging einfach nur so vor mich hin. Als ich mich umschaute, sah
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