Nur ein Blick von dir
sich wieder ins Bett zurückbegeben und sich unter die Decke verkrochen. Sie begann zu frieren.
Ich muss mich umziehen, dachte sie. Der Jogginganzug ist schon ganz durchgeschwitzt. Ein Schlafanzug wäre sowieso besser. Skeptisch betastete sie das Bettzeug. Auch die Laken hätten eigentlich gewechselt werden müssen. Aber dazu hatte sie keine Kraft. Der Schlafanzug musste reichen.
Nach dem Umziehen war sie eingeduselt und hatte einen unruhigen Traum, in dem irgendetwas klingelte. Ein Eisverkäufer. Aber er entfernte sich, und das Klingeln hörte nicht auf. Ihr Traum bot ihr noch einige andere Alternativen für das Klingeln an, bis sie endlich begriff, dass es nicht im Traum klingelte. Es klingelte an ihrer Tür.
Wahrscheinlich ist Peter zurück und will jetzt, dass ich ihm seine Speisekarte mache. Aber da muss er noch ein bisschen warten.
Das Klingeln wiederholte sich immer wieder, unterstützt von einem Klopfen und dann auch von einer Stimme. »Silke? Bist du da?«
Das war eindeutig nicht Peter. Silke überlegte, ob sie aufstehen sollte. Wenn sie nicht aufmachte, würde Marina sicher wieder gehen. Und war das nicht das Beste?
Plötzlich drehte sich der Schlüssel in der Tür. Kurz darauf erschien Marina im Türrahmen. Dahinter Peter. Beide sahen recht besorgt aus.
Peter stürzte zu Silke ans Bett. »Was machst du denn für Sachen, du dummes Ding? Gestern war doch noch alles in Ordnung.«
»Nicht wirklich«, flüsterte Silke, und jetzt konnte man es auch halbwegs verstehen.
»Hast du alles, was du brauchst? Meine Güte, wenn ich das gewusst hätte . . . Ich war den ganzen Tag unterwegs. Erst durch deine Freundin hier«, er warf einen Blick auf Marina, »habe ich erfahren, dass es dir schlecht geht. Sie hat wohl den ganzen Tag über versucht bei dir anzurufen, aber es ist niemand drangegangen.«
»Ach so, das Telefon«, murmelte Silke schwach. »Das hatte ich abgestellt.« In ihrem Kopf sirrte ein Fliegenschwarm herum, der es ihr schwer machte, zu denken.
»Und die Rufumleitung nicht rausgenommen«, vermutete Peter vorwurfsvoll. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass das Mist ist? Wenn dich jemand anruft, und dein Handy hat keinen Strom oder was, klingelt dein Telefon nicht, und niemand kann dich erreichen.«
»Es ist ja nichts passiert«, warf Marina ruhig ein. »Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir geht. Ich sehe, es geht dir besser. Dann kann ich wieder gehen. Wenn du etwas brauchst, scheint dein Nachbar ja bestens ausgerüstet zu sein.« Sie schmunzelte und schaute auf die Tüte, die Peter mitgebracht und auf den Boden gestellt hatte. Sie war bis oben hin vollgestopft mit Medikamenten.
»Ja, Peter . . . hat alles«, hauchte Silke. Sie versuchte eine Stimmlage zu finden, die nicht so weh tat, denn das Pochen in ihrem Hals fing wieder an.
»Gut.« Marina musterte sie mit einem merkwürdigen Blick. »Dann will ich nicht länger stören.« Sie drehte sich um und war weg.
»Nette Frau«, sagte Peter, während er die Medikamente neben Silke ans Bett stellte. »Freundin von dir?«
Er blickte ganz unschuldig, aber Silke wusste, dass das nur gespielt war. Er war brennend neugierig. »Nein«, sagte sie oder flüsterte es mehr. »Keine Freundin.«
»Was dann?«, fragte Peter. »Arbeitskollegin?«
Silke deutete auf ihren Kehlkopf. »Kann nicht.«
»Ach ja, klar.« Peter stellte ein paar der Tablettendosen auf Silkes Nachttisch. »Wenn du wieder schlucken kannst, nimm das. Alles Vitamine und so.« Er grinste. »Aber wenn du wieder gesund bist, erzählst du mir was über sie. Was auch immer sie ist, sie sieht interessant aus.«
Silke schaute ihn an und nickte, in der Hoffnung, dass er sie dann mit Fragen über Marina in Ruhe lassen würde.
»Soll ich dir noch einen Tee machen?«, fragte Peter.
Wieder nickte Silke.
Als Peter ihr den Tee gebracht hatte, verabschiedete er sich mit guten Wünschen für ihre Besserung und der Versicherung, dass er nur eine Sekunde entfernt war. Nachdem Silke das nächste Zäpfchen genommen hatte, fiel sie kurz darauf in einen schweren, traumlosen Schlaf.
13.
S ie schlief die ganze Nacht durch und wachte erst am nächsten Morgen gegen neun auf. Sie wusste nicht mehr, wann sie das letzte Mal so lange geschlafen hatte, selbst wenn sie krank gewesen war.
Was sie auch nicht wusste, war, ob Marina gestern Abend tatsächlich noch einmal dagewesen war oder ob sie das alles nur geträumt hatte. Ihre Erinnerung war etwas verschwommen.
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