Nur ein Blick von dir
»Aber . . . wir brauchen dich. Wir haben fest auf dich gezählt.«
»Dann habt ihr euch leider verzählt«, sagte Silke. »Ich habe keine Zeit. Ich kann nicht.« Sie wollte in ihre Wohnung gehen.
»Hallo, Frau Nachbarin, was ist denn los?« Peter folgte ihr schnell. »Du bist doch sonst nicht so brummig.«
»Ich bin nicht brummig«, wehrte Silke sich. »Ich bin nur furchtbar müde. Ich hatte ein anstrengendes Wochenende, von dem ich mich immer noch nicht erholt habe, und in der Firma ist die Hölle los. Ich muss mich wenigstens zu Hause ausruhen. Ich kann hier nicht auch noch arbeiten.«
Peter legte den Kopf schief. »Das hat Zeit«, sagte er. »Du bist am vergangenen Freitag so schnell verschwunden, dass ich es gar nicht mitbekommen habe. Was war denn so anstrengend am Wochenende? Wo warst du?« Er grinste. »Und mit wem?«
Silke hob die Augenbrauen. »Ich will nicht darüber reden.«
»Oha.« Peter überlegte kurz. »Ich glaube, das verlangt nach einer massiven Kuchenattacke. Ich habe gerade einen gebacken. Ich muss nur noch die Sahne schlagen. Und du machst den Kaffee.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte Silke. »Schon gar nicht auf Kuchen.«
»Aber ich«, beharrte Peter stur. »Und ich finde, es ist schon viel zu lange her, dass du mir Kaffee angeboten hast. Gehört sich das für gute Nachbarn?«
»Peter . . .« Silke zog ein abwehrendes Gesicht.
»Du musst den Kuchen probieren«, verlangte er. »Es ist ein neues Rezept. Wenigstens das könntest du doch für mich tun, oder?« Sein flehender Blick ließ Silke zögern. »Gut«, nutzte er sofort die Chance. »Abgemacht. Bis gleich!«
Da Peter einen Schlüssel hatte, konnte Silke ihn nicht gut aussperren, und sie musste zugeben, dass sie einen Kaffee gut vertragen konnte. Seit Yvonne sie auf der Arbeit nicht mehr ständig damit versorgte, war ihr Konsum sehr zurückgegangen.
Sie schaltete die Kaffeemaschine an und zog sich um. Bis Peter zurückkam, war der Kaffee schon fast fertig.
Peter holte Teller und Tassen aus dem Schrank und bediente sich selbst. Manchmal hatte Silke das Gefühl, er kannte sich in ihrer Wohnung besser aus als sie. Zum Schluss legte Peter ein Stück Kuchen mit einer riesigen Sahnehaube auf Silkes Teller. »Die beste Medizin«, bemerkte er lachend. »Gegen alles.«
Nicht immer, dachte Silke. Wenn es doch nur so einfach wäre. Aber um Peter eine Freude zu machen, setzte sie sich zu ihm. »Deshalb werde ich trotzdem nicht die Organisation für den neuen Cateringauftrag übernehmen«, begann sie gleich warnend. »Nicht dass du denkst, das hat sich geändert.«
»Darum geht es jetzt gar nicht«, sagte Peter. »Du sollst nur den Kuchen probieren und mir sagen, ob er gut ist.«
Silke sah ihn misstrauisch an, aber die Stelle als Peters Rezepte-Testerin hatte sie schon so lange inne, dass sie ganz automatisch ein kleines Eckchen des Kuchens probierte. »Sehr gut«, sagte sie. »Deine Kunden werden zufrieden sein.«
»Das klingt aber nicht nach Begeisterung«, sagte Peter.
»Es tut mir leid, zu Begeisterung bin ich im Moment nicht fähig. Wenn du nicht damit zufrieden bist, musst du jemand anderen fragen.« Zu früheren Zeiten hätte sie das in einem ärgerlichen Ton gesagt, nun klang es nur wie die Feststellung einer Tatsache.
»Mensch, Silke, was ist denn mit dir los? Du wirkst ja wie abgeschaltet.«
Das ist eine gute Beschreibung, dachte Silke. So fühle ich mich auch. »Ich bin müde«, sagte sie. »Aber du wolltest ja nicht hören.«
»Na gut«, sagte Peter, trank seinen Kaffee aus und aß den Kuchen mit Appetit. »Ich lasse dir den Kuchen da. Vielleicht bekommst du später ja noch Hunger.«
»Das nützt auch nichts«, sagte Silke. »Nimm ihn ruhig mit.«
Peter lehnte sich zurück und betrachtete sie mit demselben nachdenklichen Blick, mit dem auch Yvonne sie betrachtet hatte. »Muss ich mir Sorgen machen?«, fragte er. »Du musst mir nichts sagen, ich will nur wissen: Muss ich mir Sorgen machen?«
Silke zuckte die Schultern. »Das musst du wissen. Ich mache mir keine. Ich will nur schlafen.«
»In Ordnung«, sagte Peter. Aber sein Blick zeigte deutlich, dass er gar nichts in Ordnung fand. »Kann ich dich dann um einen Gefallen bitten? Kennst du jemand, der die Organisation für das Catering übernehmen könnte?«
»Frag doch Yvonne. Sie ist immer noch krankgeschrieben, und zu Hause fällt ihr bestimmt die Decke auf den Kopf«, sagte Silke. »Kann sein, dass sie zusagt.«
»Gib mir ihre Nummer«, sagte Peter.
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