Nur ein einziger Kuss, Mylord?
einen Blick auf die Person zu werfen, die in den Laden gekommen war.
Der Anblick traf sie so unvorbereitet, dass ihr die Luft wegblieb.
Im Salon Lady Braybrooks hatte Christiana Miniaturen von Alicia, Matthew, Emma und Davy stehen sehen, jede gemalt, als das betreffende Kind fünf Jahre alt war, und alle einander verblüffend ähnlich mit dem dunklen Haar und den strahlend blauen Augen der Trenthams. Das Mädchen, das vor ihr stand, sah aus wie das lebendig gewordene Porträt der kleinen Alicia, es hatte die gleichen glänzenden dunklen Locken, die gleichen blauen Augen – nur sein Teint war sonnengebräunt.
„Hast du die Sprache verloren?“, blaffte Mr. Wilkins. „Was willst du?“
Es gab nur eine logische Erklärung für die Ähnlichkeit des Kindes mit den Trenthams – und Mr. Wilkins’ Unfreundlichkeit. Mit wachsendem Schmerz beobachtete Christiana, wie die Grobheit des Ladenbesitzers die Kleine verunsicherte.
„Ein Briefchen Nadeln, Sir … für Mama. Und ein rosafarbenes Haarband für mich, bitte.“ Ihr hohes Stimmchen hörte sich atemlos an. „Ich habe Geld dabei.“ Sie öffnete ihre fest geballte kleine Faust und hielt Mr. Wilkins die Münze hin.
„Du musst warten“, beschied der Ladenbesitzer sie kurz angebunden. „Die Dame hier ist vor dir dran.“
Christiana versuchte ihrer Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. „Das ist nicht nötig, Mr. Wilkins. Ich bin noch nicht mit Aussuchen fertig. Bedienen Sie die Kleine.“
„Na gut …“ Mr. Wilkins nahm ein Nadelbriefchen aus der Tresenschublade und wickelte es ein. „Da. Aber das Haarband kriegst du nicht von mir. Ich will keine dreckigen Fingerabdrücke auf meiner guten Ware haben.“
Eine lange unterdrückte Wut stieg in Christiana auf. Das kleine Mädchen sagte nichts. Es schluckte nur und wollte Mr. Wilkins die Münze geben.
„Mr. Wilkins“, gelang es Christiana in lobenswert neutralem Ton zu sagen, „ich denke, ich habe saubere Hände. Vielleicht lassen Sie mich Ihre Haarbänder durchsehen. Das Kind kann dann auf dasjenige deuten, das ihm am besten gefällt.“
Die ins Lilafarbene spielende Röte, die dem Ladenbesitzer ins Gesicht stieg, als er zu einer Antwort ansetzte, wirkte höchst ungesund. „Ich versichere Ihnen, Miss Daventry, es besteht keinerlei Anlass für Sie …“
Wieder ging die Ladentür auf, doch Christiana machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen.
„Mr. Postleton! Miss Anne!“ Mr. Wilkins’ tiefe Verbeugung war die Unterwürfigkeit selbst.
Miss Anne … Christiana warf einen Blick über ihre Schulter. Sie war Miss Postleton bereits begegnet – beim sonntäglichen Gottesdienst. Anne Postleton hatte mit einem hochmütigen Oh? reagiert, als sie einander vorgestellt worden waren, und sich umgehend abgewandt. Vermutlich musste man es als ein Wunder ansehen, dass die Ladendecke nicht einstürzte vor lauter Schockiertheit darüber, dass ausgerechnet die Frau, die Lord Braybrook als Mätresse begehrte, es wagte, sich gleichzeitig mit der hochwohlgeborenen jungen Dame unter ihr aufzuhalten. Von dem kleinen Mädchen ganz zu schweigen.
„Oh, Mr. Wilkins, ich habe es furchtbar eilig! Der Sommerball in Amberley, wissen Sie, und ich brauche unbedingt noch ein neues Kleid. Könnte ich mir bitte Ihre Seidenstoffe ansehen?“
„Aber selbstverständlich, Miss Anne.“ Mr. Wilkins rieb sich die Hände. „Wenn Sie mir sagen würden, welche Farbe, hole ich Ihnen sofort ein paar Ballen aus dem Regal.“
Christianas Geduldsfaden riss.
„Dürfte ich Sie an die Haarbänder erinnern, Sir!“
Drei Personen starrten sie schockiert an. „Und außerdem läge mir sehr daran, Lady Braybrook nicht warten zu lassen“, setzte sie erhobenen Hauptes hinzu.
Mr. Postleton riss den Mund auf. „Ist es denn zu glauben …? Braybrooks Gouvernante, oder irre ich mich?“
„Miss Trenthams Gouvernante“, berichtigte Christiana ihn in eisigem Ton und zwang sich, Postletons unangenehmes Grinsen zu ignorieren.
Der Anflug eines höhnischen Lächelns umspielte Miss Postletons Lippen. „Ach ja, die Gouvernante .“ Geringschätzigkeit verströmend drehte sie sich zu Mr. Wilkins. „Ich werde nicht lange brauchen, Mr. Wil…“
Doch der Ladenbesitzer hatte den Kasten mit den Haarbändern bereits aus dem Regal gezogen und stellte ihn mit einem Knall auf die Theke. „Danke“, sagte Christiana und wandte sich zu dem Mädchen um. „Ein rosafarbenes Band, nicht wahr? Und wie heißt du?“
Das Mädchen nickte zögernd und
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