Nur ein einziger Kuss, Mylord?
Mylord. Ich muss Ihr großzügiges Angebot ablehnen.“
Er musterte sie eine Zeit lang, ohne etwas zu sagen. Schließlich nickte er. „Gut.“ Er stand auf, schlenderte zu den Bücherregalen und zog drei Bände im Oktavformat hervor. „Sind Sie sicher, dass Sie sich Ihre Entscheidung nicht noch einmal überlegen wollen?“ Es klang, als spräche er von einer Ware. Was für ihn vermutlich der Fall war.
„Absolut sicher, Mylord“, erwiderte sie ausdruckslos. „Einem solchen Leben könnte ich nichts abgewinnen.“
Die Bücher in Händen, drehte er sich um. „Ich habe mich gefragt, ob mein Vorschlag Sie beleidigt. Aber das scheint nicht der Fall zu sein, richtig?“
Sie dachte nach. War sie beleidigt? Die Benommenheit, die sie verspürte, überdeckte ein anderes Gefühl, aber es war nicht Zorn. Welches Recht hätte sie auch, beleidigt zu sein? Sie war illegitimer Abkunft, Bastard eines Dukes. Mit Vorsatz wählte sie das hässliche Wort, um sich mit den Tatsachen zu konfrontieren. Er war ehrlich zu ihr gewesen. Allein das ließ darauf schließen, dass er sie respektierte. Er hatte nicht einfach versucht, sich zu nehmen, was er wollte, weder mit List noch mit Gewalt. Die Entscheidung lag bei ihr. Sie musste sorgfältig getroffen werden.
„Nein, Mylord. Sie waren offen zu mir, und das schätze ich. Vielleicht ist es ein Trost für Sie zu wissen, dass ich weder erfahren noch talentiert genug bin, um eine geeignete Mätresse abzugeben.“
Ihr schien, als erstarre er, doch dann legte er die drei Bände nebeneinander auf die Schreibtischplatte. „Das sind die Vogelbücher, Miss Daventry. George Graves, ‚Britische Ornithologie‘. Lady Braybrook wird wissen wollen, wie sie Ihnen gefallen haben.“ Seine Stimme klang kühl, unnahbar. Ganz aristokratischer Dienstherr, der zu seiner Bediensteten sprach. Wahrscheinlich hätte er von ihr erwartet, dass sie ihn auch im Bett mit Mylord anredete. „Ansonsten ist Matthew unser hauseigener Experte, falls Sie Fragen haben sollten“, setzte er hinzu.
Sie holte Luft und verscheuchte in einem Atemzug ihre Sehnsucht und ihr Bedauern. „Sehr freundlich von Ihnen, Mylord. Vielen Dank.“ Dann trat sie zum Schreibtisch und nahm die Bände an sich.
„Wenn mein Angebot Sie nicht beleidigt hat, Miss Daventry, und Sie die Anziehungskraft zwischen uns nicht leugnen – würden Sie mir erklären, weshalb Sie es ablehnen?“
Ihre Antwort kam, ehe sie überlegen konnte. „Weil Sie selber mich gewarnt haben, Mylord.“
Seine dunklen Brauen schnellten hoch. „Tatsächlich? Wann?“
„Heute Nachmittag. Als Sie mir sagten, dass keine noch so saftige Frucht es wert ist, in die Dornenhecke zu fallen.“
9. KAPITEL
Die Türglocke bimmelte, als Christiana die Tür des Dorfladens aufstieß. Nach der gleißenden Sonne draußen brauchten ihre Augen eine Weile, bis sie sich an das Dämmerlicht im Laden gewöhnt hatten. Es herrschte rege Betriebsamkeit, und Christiana ließ ihren Blick über die Regale wandern, die mit einem Warensortiment vollgestopft waren, das von Schuhen bis zu Käserädern reichte. Luxusgüter wie Tee und Gewürze dagegen erhielt man am Tresen, wo Mr. Wilkins sie nur auf Anfrage verkaufte. Von den Deckenbalken hingen Speckseiten, und der köstliche Geruch frisch gebackenen Brotes schwebte in der Luft.
Der Laden war makellos sauber, den adretten kleinen Mann hinter der Theke eingeschlossen, der sie prüfend musterte. Als er sie erkannte, lächelte er und deutete eine Verneigung an.
„Guten Tag, Miss Daventry. Kann ich Ihnen helfen?“
„Guten Tag, Mr. Wilkins“, erwiderte sie. „Ich benötige Stickgarn für Ihre Ladyschaft und eine Rolle weißes Garn für mich selbst.“ Sie musste ein paar neue Taschentücher umsäumen.
Mr. Wilkins machte sich hinter dem Tresen zu schaffen, und eine Minute später lag ein Dutzend farbiger Stickgarne vor ihr ausgebreitet. Christiana nahm die Muster, die Lady Braybrook ihr mitgegeben hatte, aus ihrem Einkaufskorb und vertiefte sich in die Auswahl der Farben. Sie brauchte mehrere Blautöne … das helle Himmelblau vielleicht? Ja. Aber nicht dieses dunkle Königsblau … Sie hörte, wie die Ladenglocke abermals bimmelte, und hob den Kopf. Mr. Wilkins hatte die Lippen vezogen und sah aus, als habe er in etwas höchst Unappetitliches hineingebissen.
„Was willst du, Mädchen?“, fragte er barsch.
Sein verächtlicher Ton brachte eine Saite in ihr zum Schwingen, die sie lieber vergessen hätte. Christiana drehte sich herum, um
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