Nur ein einziger Kuss, Mylord?
die er dem Kind gegenüber an den Tag legte. Beinahe, als sei er nicht sicher, ob er das Recht hat, Nan diese Frage zu stellen, dachte sie verwirrt. Ihre Wut auf ihn verschwand.
Das Mädchen nickte stumm und zeigte ihm die hässliche Schürfwunde. „Bin beim Laufen gefallen“, wisperte es, „und hab mir das Knie aufgeschlagen.“
Braybrook erwiderte nichts darauf, doch Christiana sah, wie ein Muskel an seinem Kinn zu zucken begann. Er zog ein Taschentuch hervor und tupfte die Schramme behutsam sauber.
„Na also“, sagte er schließlich und steckte das Taschentuch ein. „Bald ist dein Knie wieder heil.“ Als er sich aufgerichtet hatte, wirkte seine Miene undurchdringlich.
Christianas Zorn auf ihn war im Handumdrehen wieder da.
„Was man von ihren anderen Verletzungen gewiss nicht behaupten kann“, versetzte sie bissig. „Wenn Sie erlauben, Mylord, bringe ich Nan nach Hause.“ Er mochte dem Kind zu Hilfe gekommen sein, aber ganz sicher legte er keinen Wert darauf, mit ihm zusammen im Dorf gesehen zu werden.
Julian warf ihr einen fragenden Blick zu und runzelte die Stirn. „Ja“, entgegnete er dann. „Tun Sie das. Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen.“
Es kostete Christiana jedes bisschen ihrer Selbstbeherrschung, ihre Wut auf ihn im Zaum zu halten, doch sie schaffte es. „Selbstverständlich, Mylord“, sagte sie ruhig. „Guten Tag.“
Sie hielt Nan die Hand hin. „Komm, mein Schatz. Ich bringe dich zu deiner Mama. Was glaubst du – ob sie eine Tasse Tee für mich hat?“
10. KAPITEL
In dem Bewusstsein, dass er zu seiner Verabredung mit Sir John viel zu spät kam, schwang Julian sich vom Pferd und eilte die Eingangstreppe von Postleton Manor hinauf.
Der Diener, der ihm die Tür öffnete, verbeugte sich. „Guten Tag, Mylord. Sir John erwartet Sie, doch zuvor wünscht Mylady ein Wort unter vier Augen mit Ihnen zu wechseln.“
„Also gut, aber informieren Sie Sir John, dass ich da bin.“
„Sehr wohl, Sir.“
Mit einem gezwungenen Lächeln empfing Lady Postleton ihn in ihrem Salon. „Guten Tag, Lord Braybrook.“
„Guten Tag, Lady Postleton“, erwiderte er vorsichtig. Ihm war sehr wohl bewusst, dass er – völlig unabhängig von Serenas Bemerkungen zur Dringlichkeit seiner Verehelichung – in Lady Postletons Heiratsplänen für Anne eine feste Größe darstellte. Die ihm bevorstehende Vernehmung war vermutlich nur ein weiteres Gefecht in dem Feldzug, mit dem Ihre Ladyschaft hoffte, ihrer Tochter die ersehnte Trophäe zu sichern. Obwohl die junge Dame, um die es ging, heute nicht in einer möglichst vorteilhaften Pose bei der chronisch verstimmten Harfe im Erker saß, wie normalerweise bei diesen Gelegenheiten.
Als Lady Postleton bemerkte, dass sein Blick zu der Harfe zuckte, schenkte sie ihm ein zufriedenes Lächeln. „Sie sind enttäuscht, dass Anne nicht da ist. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ihre Kopfschmerzen sie aufs Krankenlager gezwungen haben, nachdem sie über den Zwischenfall heute Vormittag derart außer sich war.“
„Tatsächlich?“ Julian wartete. So schnell konnte Anne unmöglich Wind von dem Vorfall mit Nan bekommen haben. Und außerdem – was ging es sie überhaupt an?
„Leider ja.“ Lady Postletons Augen begannen gefährlich zu glitzern. „Und obgleich ich der armen Serena natürlich keine Aufregung verursachen möchte, wäre es wohl dennoch angebracht, wenn Sie ihr einen Hinweis gäben. Diese Miss Daventry, die sie eingestellt hat, ist ganz und gar unpassend.“
Julian erstarrte.
„Man hat mich wissen lassen, dass sie meiner lieben Anne gegenüber heute Morgen ein äußerst impertinentes Auftreten zeigte. Nicht nur dass sie sich auf unerhörte Weise aufspielte, sie hatte auch noch die Stirn zu verlangen, dass Mr. Wilkins sie als Erste bedient!“ Lady Postleton presste die Lippen aufeinander. „Eine unerhörte Anmaßung! Es wäre mir lieb, wenn Sie Serena klarmachen würden, dass sie sich im Charakter dieser Person getäuscht hat und gut beraten wäre, wenn sie sie umgehend entlässt.“
Es kostete Julian eine geschlagene Viertelstunde und eine Unmenge höflicher Floskeln, um Lady Postletons Klauen zu entrinnen. Dass es ihm schließlich gelang, ohne einen Vertrag über die fristlose Kündigung Miss Daventrys mit seinem Blut unterzeichnet zu haben, kam einem Wunder gleich. Wahrscheinlich war die Bemerkung, dass er sich darauf freute, Ihre Ladyschaft in Amberley persönlich willkommen zu heißen, enorm hilfreich gewesen.
Er empfahl
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