Nur ein Gerücht
lächelnd.
Während wir ein paar Minuten später einträchtig mit dem Füttern begannen, kam Ilsa Neumann zu mir in den Stall. Da ich wusste, dass sie und ihr Mann Fred an diesem Abend ausreiten wollten, hatte ich ihre Pferde bereits vor dem Füttern draußen an der Stallmauer angebunden. Die beiden Tiere würden erst nach ihrer Rückkehr etwas zu fressen bekommen und sollten den anderen nicht dabei zusehen müssen.
»Ich kann meinen Sattel nicht finden«, sagte sie aufgeregt. »Ich helfe Ihnen suchen.«
Ilsa Neumann hatte einen so anstrengenden Alltag, dass es schwer fiel, ihre Hektik an der Einfahrt des Bungehofs abzulegen. So kam es häufig vor, dass sie etwas nicht fand, weil sie es schlichtweg übersah. Da es ihrem Mann ähnlich erging, holte sie in solchen Fällen stets mich zu Hilfe. Anfangs hatte sie mich mit ihrer Aufregung regelmäßig angesteckt, bis ich mit der Zeit begriff, dass ihr außer einer beruhigenden Hilfestellung gar nichts fehlte.
»Dann schauen wir mal«, sagte ich, als wir in der Sattelkammer standen, wo mein erster Blick den Halterungen der Neumanns galt.
»Der Sattel, der auf meiner Halterung liegt, gehört einem der Schulpferde.« Sie sah mich genervt an.
»Das haben wir gleich«, versuchte ich, sie zu beruhigen. Systematisch machte ich mich auf die Suche nach ihrem Sattel.
Aufgeregt lief sie um mich herum. »Sie können ihn auch nicht finden, oder?«
»Einen Augenblick noch.« Ein zweites Mal ließ ich meinen Blick über die Schildchen an den Sätteln gleiten. Ohne Erfolg. »Bin gleich wieder da.« Ich lief in die Stallgasse. »Basti, hast du den Sattel von Frau Neumann gesehen?«
»Ist er nicht in der Sattelkammer?«
»Nein«, rief ich ihm zu und ging zurück. »Also, Frau Neumann, um Ihren Ausritt nicht noch länger hinauszuzögern, schlage ich vor, Sie nehmen einen der Ersatzsättel und ich suche Ihren ganz in Ruhe.«
»Aber wo kann er denn sein?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sich jemand einen Scherz erlaubt und ihn versteckt.«
»Wer würde denn so etwas tun?«
»Keine Ahnung. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Auf dem Bungehof ist noch nie etwas weggekommen.« Ich wählte den
besten der Ersatzsättel aus und gab ihn ihr. »Genießen Sie Ihren Ausritt. Es ist so wunderschön heute draußen.« Mein aufmunterndes Lächeln verfehlte seine Wirkung nicht »Hast du es eilig heute Abend oder könntest du mir noch schnell beim Suchen helfen?«, fragte ich Basti, nachdem Ilsa Neumann zu ihrem Mann hinausgegangen war.
»Ist der Sattel nicht dort?«
»Nein. Irgendein Witzbold ist sich wahrscheinlich besonders toll dabei vorgekommen, als er ihn versteckt hat. Wer auch immer das war, ich hoffe, es war ein einmaliges Amüsement.«
»Ich kann mir amüsantere Beschäftigungen vorstellen. Fang schon mal mit Suchen an, ich bin gleich mit dem Füttern fertig, dann helfe ich dir.«
Wie versprochen stieß er, mit Heide im Schlepptau, keine zehn Minuten später zu mir. In dieser Zeit hatte ich bereits Sattelkammer und Futterkammer auf den Kopf gestellt Fehlanzeige! »Ich durchsuche mit Heide die Reithalle und den Stall«, schlug ich vor, »sieh du bitte auf dem Heuboden nach.« Eine Viertelstunde später mussten wir uns allerdings eingestehen, dass der Sattel verschwunden war.
»Ich verstehe das nicht«, sagte ich zu Basti. »Wer klaut denn einen Sattel?«
»Die Dinger sind teuer.«
»Schon, aber auf dem Bungehof ...«
»Carla«; sagte er, als spräche er mit einem Kind, »der Bungehof ist kein Märchenland, hier gehen Menschen ein und aus.«
»Menschen ja, Diebe nein!«
»Tut mir Leid, aber die Tatsachen widersprechen dem.«
5
E in Sattel ist zu verschmerzen«, sagte Ilsa Neumann gelassen, als sie von ihrem Ausritt zurückkehrte. »Hauptsache, mit den Pferden ist alles in Ordnung. Und die sind bei Ihnen nun wirklich in den besten Händen.«
Dankbar sah ich sie an. »Ich werde Ihnen den Sattel selbstverständlich ersetzen.«
»Überlassen Sie mir einfach den Ersatzsattel, falls Sie ihn entbehren können. Der passt gut.«
»Gerne.« Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn die Versicherung würde im Fall einer unverschlossenen Sattelkammer nicht zahlen. Ich hätte den Sattel aus meiner eigenen Tasche ersetzen müssen. »Danke, Frau Neumann.«
»Wir freuen uns, wenn wir uns endlich einmal revanchieren können. Unsere Pferde haben es wirklich gut bei Ihnen. Sie leisten so vieles außer der Reihe, dass es eine Schande wäre, wenn wir uns Ihnen gegenüber kleinlich
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