Nur ein Gerücht
alles aus, was ich an diesem Vormittag getragen hatte, stopfte es in den Wäschekorb und stellte mich zehn Minuten lang unter den prasselnden Wasserstrahl. Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich auf das Prickeln auf meiner Haut. Ganz zum Schluss duschte ich so kalt, dass mir fast die Luft wegblieb.
Nachdem ich meine Reitsachen angezogen hatte, nahm ich mir zwei Karotten aus dem Kühlschrank und machte mich auf den Weg zu Oskar. Als er mich seinen Namen rufen hörte, galoppierte er wiehernd vom anderen Ende der Weide auf mich zu und kam knapp vor mir zum Stehen.
»Na, mein Freund ...«
Während ich seine Stirn rieb, zog er die Karotten aus der Tasche meiner Reithose. Ich legte meine Wange an seinen Hals, spürte einen wunderbaren Augenblick lang seine Wärme und atmete den Pferdegeruch ein. Dann setzte ich mich mit dem Rücken zur Sonne auf den Rand der Wassertränke und sah Oskar beim Grasen zu.
Der Wind hatte die Wolken, die noch am Morgen am Himmel gewesen waren, vertrieben. Das ungetrübte Blau stand in krassem Gegensatz zu meiner eher bewölkten Stimmung. Die Hoffnung, durch meine Teilnahme an Udos Trauerfeier die Erinnerung an ihn und die anderen endgültig begraben zu können, hatte sich zerschlagen. Zum ersten Mal seit fünf Jahren bereute ich es, in meine alte Heimat zurückgekehrt zu sein. Ich war mir so sicher gewesen, dieser Landstrich sei groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Außer Udos Schwester war ich in der ganzen Zeit niemandem von früher begegnet.
»Es war ein Fehler, Oskar«, sagte ich leise in seine Richtung »Ich hätte nicht auf diese Trauerfeier gehen dürfen.« Ungestört graste er weiter. Lediglich an der Bewegung seiner Ohren konnte ich sehen, dass er mich hörte. Mit dem Schweif verjagte er ein paar Bremsen.
Der Gedanke an Nadine, meine Freundin von einst, löste ambivalente Gefühle aus. Einerseits führte er mir mein schlechtes Gewissen vor Augen - ich war so unvorstellbar feige gewesen, hatte sie im Stich gelassen und belogen. Andererseits kamen all die guten Gefühle wieder hoch, die ich mit ihr verband. Eine Zeit lang war sie der einzige Lichtblick, die einzige Vertraute in meinem Leben gewesen.
Wenn sie tatsächlich in der Gegend war - wie sollte sie mich finden? Schließlich hatte sie mich als Carla Janssen gekannt. Mit dem Namen Bunge würde sie nichts anfangen können, er war der Mädchenname meiner Mutter.
Vor zwei Jahren hatte ich über die Auskunft versucht, Nadine ausfindig zu machen. Ohne Erfolg. Wahrscheinlich hatte sie geheiratet und einen anderen Namen angenommen. Da auch Karen nicht wusste, wo sie zu finden war, beschloss ich, ein Wiedersehen mit ihr dem Schicksal zu überlassen.
»Bis später, Oskar.« Ich strich ihm zum Abschied übers Fell, schloss das Gatter hinter mir und ging eilig hinüber zum Hof.
Erst am Nachmittag gelang es einem Ausritt, meine trübe Stimmung etwas zu heben. Ich begleitete eine Gruppe von fünf Frauen über ausgedehnte Galoppstrecken und zahlreiche natürliche Hindernisse. Als wir nach zwei Stunden zum Bungehof zurückkehrten, gab ich noch weitere zwei Stunden Einzelunterricht und half dann Basti und Heide beim Hereinholen der Pferde.
»Während deines Ausritts hat eine Frau nach dir gefragt«, rief Basti mir über einen Pferderücken hinweg zu. »Sie war gestern schon mal hier. Die mit den Augenringen, die so aussieht, als laste das Unglück der Welt auf ihren Schultern.«
Melanie! »Hat sie gesagt, was sie wollte?«
»Nur dass sie morgen wiederkommen will.«
»Hat sie zufällig gesagt, wann?«
»Nein, aber ich habe ihr die Zeiten gesagt, zu denen sie dich hier in jedem Fall antreffen wird.«
Mist! Gerade hatte ich mir vorgenommen, mich durch Basti verleugnen zu lassen.
»Habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein, nein«, beruhigte ich ihn, »überhaupt nicht.«
Er sah mich enttäuscht an. »Dann habe ich mich geirrt, und dir, will es nur einfach nicht gelingen, deine Mimik mit deinen Worten in Einklang zu bringen.« Langsam schloss er eine der Boxentüren und schob den Riegel vor. »Ich hole den Futterwagen.« Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er an mir vorbei.
»Sie zählt nur einfach nicht zu meinen Lieblingsbesuchern«, rief ich ihm hinterher. »Nichts weiter.«
»Dann sag es ihr!«
»Ihr Bruder ist gerade erst gestorben.«
Er blieb stehen und drehte sich zu mir um. »Das ist etwas anderes. Dann heißt es Zähne zusammenbeißen.«
»Genau das habe ich vor«, erwiderte ich
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