Nur ein Gerücht
bin sein Enkel.«
»Eben«, sagte ich mitfühlend. »Deshalb wird er dir alles schwören. Hauptsache, du siehst weiter zu ihm auf.«
»Was ist mit dieser Frau, die das Heu abbestellt hat?«
»Melanie? Ich hoffe, dass ihre Wut verraucht ist und sie Ruhe gibt.«
»Und wenn nicht?«
»Basti, hör auf, dir etwas vorzumachen. Damit tust du dir keinen Gefallen.«
Ihm war anzusehen, dass er sich von mir unverstanden fühlte. Seine vor der Brust verschränkten Arme signalisierten Abwehr, sein Blick Trotz. »Ich hoffe, wir werden irgendwann herausfinden, wer von uns beiden die Augen vor der Realität verschlossen hat.«
Im Auto kamen mir Zweifel. Mein Vater und ich hatten uns so viele Jahre nicht gesehen. Er spielte nur in meinen Erinnerungen eine Rolle, und ich war mir nicht sicher, ob ich wollte, dass er es auch in der Gegenwart tat - und sei es nur in Form eines Gastspiels.
Ich stieg wieder aus, ging hinters Haus und setzte mich auf die Steine. Mit geschlossenen Augen ließ ich den Wind über mein Gesicht streichen und versuchte, meine innere Anspannung loszuwerden. Was war das Schlimmste, das mir passieren konnte, wenn ich meinem Vater gegenüberstand? Ich musste nicht lange über diese Frage nachdenken: Rechthaberei und Ignoranz. Sollte er darauf beharren, dass er sich nichts vorzuwerfen hatte, würde ich mich auf dem Absatz umdrehen und wieder gehen.
Mit diesem Vorsatz war es plötzlich leichter, ins Auto zu steigen und loszufahren. Auf der Fahrt versuchte ich bewusst, mich abzulenken und meinen Blick für das Naturschauspiel links und rechts der Straße zu schärfen. Der friedliche Schleier, den die Abendsonne über die Landschaft legte, war Balsam für meine Seele.
Als ich schließlich in Eutin ankam, musste ich zweimal fragen, bis ich das Haus fand, das Franz Lehnert und mein Vater bewohnten. Es war ein schmales, zweistöckiges Stadthaus mit roten Klinkern und weißen Sprossenfenstern. Links und rechts neben der Eingangstür standen große Tonkübel mit Rosen. Zaghaft drückte ich auf den Klingelknopf und wartete, aber nichts rührte sich. Ich drückte noch einmal, diesmal stärker. Als nichts geschah, wandte ich mich mit einem Anflug von Erleichterung zum Gehen. Offensichtlich sollte es nicht sein, dass wir uns wiedersahen. Wahrscheinlich war es besser so.
Ein Geräusch hinter mir ließ mich herumfahren. Franz Lehnert hatte die Tür aufgerissen und strahlte übers ganze Gesicht, als er mich erkannte.
»Sie haben uns gefunden«, sagte er außer Atem.
»Das war nicht so schwierig. Schwieriger dürfte es da schon gewesen sein, mich zu finden. Wie ist Ihnen das überhaupt gelungen?«
»Ich habe Ihre Mutter angerufen.« Er trat einen Schritt zur Seite und machte eine einladende Handbewegung. »Kommen Sie bitte herein.«
Zögernd folgte ich seiner Aufforderung. Er ging mir voraus in ein großzügiges Wohnzimmer, das den Blick in einen dicht bewachsenen Garten öffnete.
»Mögen Sie ein Glas Wein?«
Ich schüttelte den Kopf. »Aber wenn Sie ein Wasser haben ...«
»Bin gleich zurück.«
Während ich wartete, sah ich mich in dem Raum um. Er hatte etwas gemütlich Unaufgeräumtes. Einen alten Schrank erkannte ich wieder, er hatte in unserem Haus in Plön gestanden. Auf jeder nur erdenklichen Fläche stapelten sich in diesem Zimmer Bücher und Zeitungen. Sogar das dunkelbraune Ledersofa, auf dem ich saß, war zur Hälfte belegt.
»Schön, dass Sie gekommen sind.« Er stellte das Glas Wasser vor mich hin, setzte sich umgekehrt auf einen Stuhl und betrachtete mich in aller Ruhe.
»Haben Sie meinem Vater gesagt, dass ich hier bin?«
»Er schläft«
Ich trank einen Schluck Wasser. »Wie geht es ihm?«
»Sehr schlecht.« Das Strahlen, mit dem er mich empfangen hatte, hatte mich über die Traurigkeit in seinen Augen hinweggetäuscht.
»Was hat er?«
»Leberkrebs. Vor vielen Jahren hat Viktor sich mit einer Hepatitis infiziert, die chronisch wurde. Irgendwann entwickelte sich eine Leberzirrhose und später dann Krebs.«
»Und das ließ sich nicht verhindern?«
»Nein. Seine einzige Rettung hätte in einer rechtzeitigen Lebertransplantation bestanden. Er hat jahrelang auf eine neue Leber gewartet, aber es gibt zu wenige Organspenden. Und jetzt ist er zu schwach für eine solche Operation. Außerdem ist der Krebs zu weit fortgeschritten.« Sein Blick war der eines Menschen, der sich in das Unabwendbare gefügt hat, nicht ohne zuvor nach jedem nur möglichen Ausweg gesucht zu haben. »Wollen wir
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