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Nur ein Gerücht

Titel: Nur ein Gerücht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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von mir nicht erwarten.«
    »Wohin gehen Sie jetzt?«
    »Dahin, wohin ich gehöre.« Ich spürte seinen Blick im Rücken, aber er hatte nicht die Kraft, mich zu halten.
    Es waren nur wenige Meter bis zu meinem Auto. Als ich die Tür hinter mir zugeschlagen hatte, fühlte ich eine Mischung aus Erleichterung, Enttäuschung und Unzufriedenheit. Erleichterung, einem Gespräch mit meinem Vater entkommen zu sein, Enttäuschung darüber, auf den Worten sitzen geblieben zu sein, die mir auf der Seele brannten, und Unzufriedenheit mit mir selbst, dass ich all das nicht vorausgesehen hatte. Da ich nicht in der Stimmung war, nach Hause zu fahren, bog ich Richtung Uklei-See ab. Den inmitten eines Waldes gelegenen, verwunschenen See hatte Christian mir einmal gezeigt. Ich erinnerte mich an den Spaziergang, den wir um den See gemacht hatten. Ich hatte mich ihm auf unbeschwerte Weise nahe gefühlt. Warum mussten die wichtigen Männer in meinem Leben immer alles zerstören?
    Nachdem ich mein Auto auf dem Parkplatz abgestellt hatte, ging ich hinunter zu dem Weg, der um den See führte. Nicht mehr lange und die Dämmerung würde einsetzen. Durch Bäume und Schilf hindurch sah ich auf die ruhige Wasseroberfläche. Hier und da zog eine Ente ihre Bahn und widerlegte den Eindruck, die Zeit würde stillstehen. Ich stellte mich dicht ans Ufer und wartete darauf, dass sich die Ruhe des Sees über mich stülpte. Aber es war nur eine unerklärliche Traurigkeit, die mich heimsuchte.
    Ziellos lief ich weiter, bis ich zu einem Holzsteg kam, der ein paar Meter in den See hinausragte. Da die Bohlen an einigen Stellen lose waren, balancierte ich vorsichtig darüber. Am Ende setzte ich mich und ließ die Füße baumeln. Links und rechts von mir breitete sich ein grüner Teppich aus Seerosen-blättern aus. In einem anderen Moment hätte ich das Bild, das sich mir bot, sicher wunderschön gefunden. An diesem Abend erreichte es mich nicht. Ich fühlte mich, als sei ich von undurchdringlicher Watte umgeben.
    Mit einem Mal lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, und ich erstarrte... Wieder war da dieses diffuse und gleichzeitig beängstigende Gefühl, beobachtet zu werden. Mit einem Ruck drehte ich mich um und suchte mit meinen Blicken hektisch das Ufer ab.
    Es dauerte einen Moment, bis ich den Mann erkannte, der unweit von mir stand und zu mir herübersah. »Sie haben mich erschreckt!«, rief ich im Aufstehen zu ihm hinüber.
    »Tut mir Leid«, entgegnete Franz Lehnert zerknirscht. Mit ein paar Schritten war er bei mir.
    »Haben Sie das schon öfter gemacht?«
    »Was?«
    »Mich beobachtet.«
    »Was denken Sie von mir?«
    »Was soll ich von jemandem denken, der mich verfolgt und dann beobachtet?« Ich versuchte, mich an ihm vorbeizudrängeln, aber er verstellte mir den Weg.
    »Bleiben Sie bitte, Carla.« Jetzt war es an ihm, sich an mir vorbeizudrängeln. Er ließ mich, stehen, um sich genau dort auf den Steg zu setzen, wo vorher ich gesessen hatte. »Ich würde gerne mit Ihnen reden.« Auffordernd klopfte er mit der Hand auf den Platz neben sich.
    »Was ist das für eine Partnerschaft, in der man einen kranken, hilflosen Mann sich selbst überlässt?«
    »Es ist eine wunderbare Partnerschaft. Ihr Vater ist übrigens im Augenblick nicht allein, eine gemeinsame Freundin ist bei ihm und kümmert sich um ihn.« Er klopfte erneut auf den Holzsteg. »Jetzt setzen Sie sich schon.«
    Hin- und hergerissen zwischen Widerwillen und Sympathie für diesen Mann setzte ich mich. »Sie haben mich gebeten, meinen Vater zu besuchen. Das habe ich getan. Was wollen Sie noch von mir?«
    »Ich möchte Ihnen helfen.«.
    »Wer sagt, dass ich Hilfe brauche?«
    »Das sagt mir die Tatsache, dass Sie nach Eutin gekommen sind. Hätten Sie mit Ihrem Vater abgeschlossen, wären Sie nicht gekommen. Aber Sie wollten all das Unausgesprochene zwischen Ihnen beiden endlich aussprechen. Und dann stehen Sie plötzlich vor einem Mann, dessen Anblick Ihnen jede Chance dazu nimmt.« Er sah mich von der Seite an. »Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich jetzt fühlen.«
    »Gar nichts können Sie«, sagte ich gepresst, um dann geschlagene fünf Minuten in Schweigen zu verfallen. »Zeit meines Lebens habe ich glückliche Familien beneidet. Familien, bei denen nicht bereits am Frühstückstisch gestritten wurde. Inzwischen weiß selbst ich mit meinem ausgeprägten Harmoniebedürfnis, dass eine gute Streitkultur dem Glück ganz förderlich sein kann. Aber das, was meine Eltern praktizierten,

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