Nur ein Hauch von dir
Doch wie sollte ich das anstellen? Sollte ich nun für immer auf der Suche nach deinem Gesicht durch die Straßen wandern, immer in der Hoffnung, dass sich unsere Wege irgendwann einmal kreuzen? Und dann bist du gleich am nächsten Tag in St. Paul’s gekommen. Aber das weißt du ja selbst.«
Ich lachte kurz, wollte ihn aber nicht von seiner Geschichte ablenken.
»Ich konnte mein Glück nicht fassen: Ich würde nicht die nächsten, wer weiß wie vielen Jahre mit der Suche verbringen müssen – du warst zu mir gekommen. Und dann hast du mich angelächelt, und ich merkte, dass du mich sehen konntest – du, ein Mensch aus Fleisch und Blut, hast mich angelächelt! Und das war schon so lange her.« Der letzte Satz kam nur als ein Flüstern.
Er machte eine Pause und starrte ins Leere. Eine Fuchsfamilie saß im Halbdunkel der Bäume und beobachtete ihn.
Schließlich holte Callum tief Luft und fuhr fort: »Als ich gesehen habe, dass du genau das gleiche Amulett hast wie ich, war plötzlich alles klar. Ein solches Amulett darf es auf deiner Seite eigentlich gar nicht geben, also, in deiner Welt. Ich war überfordert, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Aber ich wollte dich nicht einfach wieder verschwinden lassen. Ich bin dir durch die Kathedrale gefolgt und dann bis zum Minibus, und darauf stand der Name eurer Schule.«
Er warf mir einen schuldbewussten Blick zu. »Und dann bin ich dem Bus gefolgt und …«
»Jetzt mal langsam! Wie in aller Welt bist du ihm gefolgt? Und warum bist du nicht einfach mitgefahren? Niemand hätte dich gesehen!«
»So wie ich durch Dinge hindurchgehen kann, die sich bewegen, können die sich auch durch mich bewegen. Ich kann kein Transportmittel benutzen.«
»Ich verstehe, klar«, stimmte ich zu. »Aber wie bist du dann so schnell zur Schule gekommen?«
Er hob die Schultern. »Ich bin kein schlechter Läufer.«
»Kann ich mir vorstellen.« Ich dachte daran, wie er gebaut war. »Also habe ich mich auf den Weg gemacht, und als ich etwas näher kam, habe ich das Amulett gespürt. Irgendwie hat es mich zu dir gezogen. Du nimmst seine Energie perfekt auf. Deshalb kannst du mich wohl auch so deutlich sehen.«
»Aber in St. Paul’s warst du einfach da, direkt vor mir. Hier brauche ich einen Spiegel, um dich zu sehen. Wie kommt das?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte daran liegen, dass ich da irgendwie zu Hause bin, deshalb könnte meine Anwesenheit in deiner Welt dort am stärksten sein. Und die Kuppel … die Kuppel ist etwas ganz Besonderes. Vielleicht konzentriert sie unsere Anwesenheit. Und du hast genau im Zentrum der Kuppel gestanden, stimmt’s? Das ist allerdings nur eine Vermutung. Ich kenne mich mit diesen ganzen Regeln nicht so aus.«
»Du wohnst in der St. Paul’s Cathedral?«
Er seufzte. »Es ist so viel, was du wissen müsstest, um alles zu verstehen. Und es ist das erste Mal, dass ich versuche, das jemandem zu erklären.«
Ich beruhigte mich selbst und versuchte, nicht zu enttäuscht auszusehen. »Vielleicht erzählst du mir erst einmal, wer du bist – oder warst – und wie du … so geworden bist.«
Einen Moment lang sah Callum über den Fluss, scheinbar abgelenkt von einigen kleinen Schiffen, die dort kreuzten, doch sein Blick war irgendwohin in seine Erinnerung gerichtet.
»Von früher weiß ich bloß noch zwei Dinge«, flüsterte er. »Ich weiß, dass ich Callum heiße. Aber ich erinnere mich nicht daran, woher ich komme, wie alt ich bin und an all das. Ich bin einfach Callum. Und ich weiß, dass Catherine meine Schwester ist. Sie ist … sehr unglücklich« – bei dem Wort verzog er das Gesicht – »über das Leben, das wir jetzt führen.«
»Und woher weißt du, dass sie deine Schwester ist, wenn du sonst nichts weißt?«, fragte ich verwundert. »Und wo ist sie jetzt?« Bei dem Gedanken, dass dieses Mädchen die ganze Zeit hier bei uns gewesen war und unsere Geständnisse mitgehört hatte, geriet ich in Panik.
»Keine Sorge, sie ist in London. Sie weiß nicht, dass ich hier bin, was wahrscheinlich auch besser ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das besonders gut finden würde. Ich weiß nur, dass sie meine Schwester ist und dass wir zusammen waren, als wir dieses … Leben begonnen haben. Keine Ahnung, woher.« Es war Callum anzusehen, dass das ein schmerzliches Thema für ihn war. Sein Blick wanderte wieder zum Wasser, wo einige Achter sich ein Rennen lieferten.
»Du hast also keine Erinnerung daran, wie du zu dem
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