Nur ein kleiner Sommerflirt
reden, damit ich dich küssen kann.«
Noch ehe ich irgendeine schlagfertige Antwort parat habe, sind seine Lippen auf meinen. Und wenn ich sage, dass ich noch nie zuvor so etwas gefühlt habe, dann meine ich es auch so.
Ich muss hier ein bisschen weiter ausholen, damit ihr euch wirklich ein Bild davon machen könnt.
Also: Seine Hand liegt auf meiner Wange und umschließt sie so behutsam, als wäre ich aus Porzellan und könnte bei der geringsten Berührung zerbrechen. Dann streift er mit seinen Lippen ganz langsam über meine, fast als wolle er meinen Mund mit seinem nachzeichnen.
Es ist wunderschön. Wie ein Rausch. Und es ist so unheimlich intensiv, dass meine Gefühle Achterbahn fahren. Mitch hat mich nie geküsst, als wären meine Lippen ein Schatz und als wolle er sie sich für alle Ewigkeit einprägen.
Als Avi sich langsam zurückzieht und seine Finger von meiner Wange nimmt, frage ich: »Warum hast du das gemacht?«
Sein Mund verzieht sich zu einem schiefen Lächeln. »Warum ich dich geküsst habe oder warum ich damit aufgehört habe?«
»Ersteres.«
Er setzt sich wieder auf seinen Platz im Kajak und lehnt sich zurück. Ich höre das Zwitschern der Vögel in den Bäumen und das Rascheln der Blätter im Wind. Als würden sie darüber flüstern, was gerade zwischen Avi und mir geschehen ist. Was sie wohl sagen?
»Du hast es gebraucht«, meint er schließlich.
Irgendwo bei dieser ganzen Aktion hat sich meine Sonnenbrille verabschiedet und liegt nun am Boden des Kajaks. Ich schnappe sie mir und setze sie auf, ehe er mir ansehen kann, was wirklich in mir vorgeht.
»Entschuldige mal?«, sage ich. Ich habe einen Kuss gebraucht? Was ist denn das schon wieder für eine bescheuerte Ansage?
Er stößt das Boot vom Flussufer ab, nimmt ein Paddel und legt los. Dann drückt er mir das andere in die Hand. Am liebsten würde ich ihm das Ding über den Kopf hauen. Stattdessen reiße ich es ihm aus der Hand und sage wenig intelligent: » Du hast mich geküsst.«
Er zuckt die Schultern und paddelt weiter. Die Muskeln in seinen Armen spannen sich bei jedem Schlag gegen die leichte Strömung an. »Vergiss es einfach.«
Als könnte ich das. Das war nicht nur ein flüchtiges Küsschen – das war wie ein Volltreffer bei den NBA-Playoffs. Und es war nicht mal ein Zungenkuss, sondern irgendwie inniger. Ich kann nicht genau sagen, was dabei in mir vorgegangen ist. Ich war voll und ganz dabei – mit Haut und Haaren, nicht nur mit den Lippen. Ich weiß, das klingt verrückt – finde ich selbst ja auch. Und bevor ihr noch auf falsche Gedanken kommt: Das blöde Wort mit den fünf Buchstaben namens Liebe war es nicht.
»Amy?«, sagt er.
»Was?« Wahrscheinlich will er sich entschuldigen und mir erzählen, dass unser Kuss ein Experiment zur Gewissenserforschung war und sein Leben für immer verändert hat.
»Halt dich fest.«
»Soll das heißen: ›Achtung, ich muss dir was sagen, das dich umhauen wird‹?«, frage ich.
»Nein, eher: ›Halt dich am Kajak fest, da vorne kommen die Stromschnellen.‹«
23
Wenn du einen Streit anfängst, dann beende ich ihn.
Wenn ich euch sage, dass sich mein Leben gerade noch mal im Schnelldurchlauf vor meinem inneren Auge abgespult hat, dann ist das nichts als die reine Wahrheit. Sogar Avis Kuss scheint auf einmal eine Million Jahre her, als ich den Hals recke und die wilden Wellen, das gurgelnde Wasser und die weiß schäumenden Stromschnellen erblicke.
»Ich will nicht sterben!«, kreische ich.
»Du wirst nicht sterben«, sagt Avi laut, um das Rauschen zu übertönen. »Bleib schön auf dieser Seite des Kajaks, damit wir nicht kentern.«
»Ich kann nicht schwimmen«, gestehe ich.
»Du hast eine Schwimmweste an. Entspann dich. Wenn wir umkippen, kann dir nichts passieren.«
»Ich habe Angst.« Alles, was ich will, ist, dass er mich festhält, damit ich mich sicher fühle. Ich kneife die Augen zu, während ich mich panisch an den Rand des Kajaks klammere.
»Keine Sorge, ich passe auf dich auf. Sprich einfach mit mir, und dann wird es vorbei sein, noch ehe du dich’s, versiehst.«
»Worüber soll ich denn sprechen?«, frage ich.
Soll ich ihm erzählen, wo ich gern bestattet werden möchte oder wer meine Grabrede halten soll, nachdem wir in diesem Fluss ERTRUNKEN sind? Vermutlich kann er mich auch gar nicht verstehen, weil er damit kämpft, das Kajak um die Stromschnellen herumzumanövrieren.
»Erzähl mir was von deiner Mom.«
Zurzeit kein gutes Gesprächsthema. Da würde
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