Nur ein kleiner Sommerflirt
mir egal, ob uns jemand zusieht, ich würde diesen Augenblick für nichts in der Welt tauschen.
Doch plötzlich lässt er mich los und macht einen Schritt zurück. Mit Entsetzen sehe ich, wie er sich mit dem Handrücken über den Mund wischt, als wolle er unseren Kuss von seinen Lippen reiben.
»Ich kann das nicht, Amy. Mach es mir nicht zu schwer.«
Meine Augen füllen sich mit Tränen, und ich versuche nicht mal, sie aufzuhalten.
»Weine nicht«, sagt er und streckt die Hand aus, um eine Träne wegzuwischen, die mir über die Wange kullert. »Du bist ein tolles Mädchen –«
»Das musst du nicht sagen, nur damit ich mich besser fühle. Überhaupt: Sag einfach gar nichts. Ich hab’s verstanden, das war deutlich genug.«
Ich drehe mich abrupt um.
Doch er hält mich am Arm fest. »Amy, lass es mich doch erklären.«
Da stehe ich also und warte auf eine Erklärung, obwohl ich nicht sicher bin, ob ich sie hören will. Ich blicke zu ihm auf und bemerke etwas in seinen Augen, was ich dort noch nie zuvor gesehen habe. Trauer. Sie ist ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass es mir Angst macht.
Er presst eine Sekunde lang die Augen zu, als würde ihm das, was er zu sagen hat, körperliche Schmerzen bereiten.
»Mein Bruder Micha ist letztes Jahr bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen.«
Er sieht mich an und wartet auf eine Reaktion, doch ich bin zu überrumpelt, um etwas zu sagen. Stattdessen umarme ich Avi fest und wünschte, ich könnte den Schmerz ein bisschen lindern, obwohl ich tief in mir drin weiß, dass das nicht geht.
»Es tut mir so leid«, flüstere ich gegen seine Brust.
So stehen wir eine Weile da. Als er sich von mir löst, sehe ich, dass er rote Augen hat – auch wenn er sie schnell mit den Handflächen bedeckt.
»Ich hasse es, wenn ich meine Gefühle nicht im Griff habe.«
»Was soll ich da sagen? Ich bin ein einziges großes Gefühl«, gebe ich zu.
Er schenkt mir sein seltenes Lächeln, dann wird er wieder ernst.
»Ich mag dich, Amy. Wahrscheinlich mehr, als ich zugeben will, sogar vor mir selbst. Aber ich bin momentan nicht bereit für eine Beziehung. Ich habe einen Neffen ohne Vater und eine Schwägerin, die den ganzen Tag zu Hause sitzt und um ihren toten Mann trauert. Im nächsten Monat trete ich in die Armee ein. Wenn mir etwas zustößt –«
»Wenn ich verspreche, dir keine Träne nachzuheulen, falls du ums Leben kommst, geht’s dir dann besser?«, sage ich.
Er schüttelt den Kopf. »Das ist nicht komisch, Amy. Ich lasse mich zum Kommandosoldaten ausbilden.«
»Hör zu, hier geht es um einen Urlaubsflirt, nicht um die Liebe fürs Leben.« An Mitch verschwende ich in diesem Moment keinen einzigen Gedanken. Und ich habe so das dumpfe Gefühl, dass Mitch das genauso hält. Zwischen Avi und mir ist etwas, was ich nicht einfach ignorieren kann.
»Du bist zu emotional, um wirklich Abstand zu halten, Amy. Du bist kein Mädchen für einen Urlaubsflirt. Zumindest nicht, wenn die Dinge so stehen wie bei uns.«
»Wie wäre es dann, wenn wir es beenden, sobald dieser kleine Abenteuertrip vorbei ist? Wenn du den Rest deines Lebens ein Feigling sein willst – bitte. Aber wenn du dir eine schöne Zeit mit einem Wahnsinnsmädchen machen willst, dann musst du dich deinen Ängsten stellen.« Am liebsten würde ich noch bitte, bitte, bitte sagen, aber das verkneife ich mir, denn ein Mädchen muss sich einen Rest Selbstachtung bewahren, wenn es von dem Jungen, auf den es steht, eine Abfuhr bekommt.
»Wer ist denn dieses Wahnsinnsmädchen?«, sagt er und tut, als würde er sich umsehen.
Ich boxe ihm spielerisch in den Magen.
Über unsere nicht existente Beziehung verlieren wir kein Wort mehr, aber er küsst mich und sagt: »Bereit?«
Ich zwinkere ihm zu. »Absolut.«
Als er mich an der Hand nimmt und mit mir zu den anderen zurückgeht, bin ich nicht erstaunt, dass sie uns ungläubig anstarren. An ihrer Stelle würde ich auch denken, die Welt dreht auf ihrer eigenen Achse durch. Auch wenn das zwischen Avi und mir nur ein kurzes, nicht existentes Abenteuer ist.
Das Einzige, was mir ein bisschen im Magen liegt, ist die Frage, wie es heute Nacht mit der Verteilung der Schlafplätze aussieht.
Avi ist achtzehn und hat viel mehr Erfahrung als ich.
Erwartet er von mir mehr, als ich bereit bin zu geben?
24
Das Falsche zu tun, fühlt sich manchmal so verdammt richtig an.
Moron fährt uns zu einem Hotel. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wie er hierhergefunden hat. Es liegt
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