Nur ein kleiner Sommerflirt
Sklaven sein wollten.«
Meine Knie werden ganz zitterig und ich bekomme überall Gänsehaut. Unvorstellbar, wie willensstark die Juden waren … und noch immer sind. Ich schlendere ziellos über das Plateau durch die halb verfallenen Wände aus Stein, die meine Vorfahren gebaut haben, und lasse alles auf mich wirken.
Ich fahre mit meinem Finger über die Steine und stelle mir die Frauen und Männer vor, die, obwohl sie wussten, dass ihre Überlebenschancen schlecht standen, doch genug Zuversicht hatten, so schöne Häuser für sich zu bauen, die Tausende von Jahren überdauern konnten.
Als ich mich auf dem Plateau umsehe, fällt mein Blick auf einen Trupp Soldaten. Die Männer haben gerade den Aufstieg geschafft und scharen sich zusammen. Mir fallen kleine Taschen seitlich an ihren Armeestiefeln auf.
»Was sind das für kleine Taschen an ihren Stiefeln?«, frage ich Moron.
»Bezeichnen die Amerikaner die Erkennungsmarken, die die Soldaten um den Hals tragen, nicht als ›Hundemarken‹?«
»Ja.«
»Die israelischen Soldaten tragen eine Marke am Hals und eine in dieser kleinen Tasche am Schuh. Für den Fall, dass ihnen im Gefecht Körperteile abgetrennt werden, können sie auf diese Weise noch immer identifiziert werden. Im Judentum ist es wichtig, dass man mit all seinen Körperteilen begraben wird, also wird nichts unversucht gelassen, um das auch für die Soldaten zu gewährleisten.«
Uff, was für ein grässlicher Gedanke.
»Was machen die da?«, frage ich ihn, während ich beobachte, wie die Soldaten sich versammeln und einige hebräische Wörter rezitieren.
»Sie schwören ihren Eid: ›Masada darf nie wieder fallen‹«, erklärt Moron. »Bis vor Kurzem haben alle Soldaten diesen Eid hier an diesem spirituellen Ort geschworen – als Abschlussritual ihrer Grundausbildung. Masada war und ist das Symbol für den Selbstbehauptungswillen des israelischen Volkes. Und wie du siehst, gibt es immer noch Soldaten, die dieses Ritual begehen.«
Als wäre der Stein, den ich berühre, heiß, ziehe ich die Hand zurück. »Ohmeingott«, murmle ich und taumle zurück.
»Was ist?«, fragt Avi besorgt.
»Nichts.« Ich will nicht zugeben, dass Masada auch für mich ein ganz besonderer Ort ist. Zum ersten Mal, seit ich in Israel bin, weiß ich, warum ich hier bin, und das macht mir Angst.
Ich erinnere mich daran, was Safta gesagt hat. Jude zu sein, ist eher eine Sache des Herzens als des Verstandes. Religion ist etwas sehr Persönliches. Sie ist für dich da, wenn du sie brauchst oder dafür offen bist. Es liegt ganz an dir, ob du dich darauf einlässt …
Meine Vergangenheit mag voller Schatten und dunkler, unscharfer Flecken sein, doch meine Zukunft liegt auf einmal klar und deutlich vor mir, dank dieser schrecklichen, wunderbaren, schockierenden Reise in ein Land, das so anders ist als ich und doch ein Teil von mir.
Ich sehe den Abhang hinunter über das Land und versuche nachzuempfinden, wie die Juden … meine Vorfahren … sich gefühlt haben, als die übermächtigen Römer sie hier belagert haben, und mir wird klar, dass dieses Land schon von Anbeginn der Zeit ein Kriegsgebiet war.
Warum sollte es im einundzwanzigsten Jahrhundert anders sein als im ersten?
27
Manchmal sind unsere Feinde unsere besten Freunde.
»Wo fahren wir hin?«, frage ich Avi.
Während die anderen an unserem letzten Morgen im Süden Israels noch beim Frühstück sitzen, hat Avi von der Autovermietung des Hotels einen Wagen geliehen und macht mit mir einen Ausflug. Er will mir nicht verraten, wohin es geht, und das macht mich etwas nervös.
»Wir treffen einen Freund.«
Während wir über die staubtrockene Steinpiste holpern, mustert er mich mit seinen dunklen, geheimnisvollen Augen.
»Hast du Angst?«
»Sollte ich?«
»Nein. Zusammen mit mir musst du niemals Angst haben.«
Meine Nerven, ich habe fast die ganze Zeit über Schiss, wenn ich bei ihm bin. Aber das liegt vor allem daran, dass ich Angst vor meinen eigenen Gefühlen habe, die so leicht außer Kontrolle geraten, wenn er in meiner Nähe ist.
Ich lege die Hände in den Schoß und betrachte die atemberaubende Landschaft, die so ganz anders ist als die grasbewachsenen Berge des Moschaws . Wer hätte gedacht, dass Felsen und Wüste so schön sein könnten?
Im Radio läuft israelische Musik. Weil ich meine innere Unruhe und überschüssige Energie irgendwie loswerden muss, beginne ich mit Po-Übungen. Anspannen. Locker lassen. Anspannen. Locker lassen.
»Was machst du?«,
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