Nur ein kleines Bischen
fest entschlossen, mich zu
amüsieren. Orpheus winkt einen der Tänzer herbei
und sie flüstern einander kurz etwas ins Ohr. Ich kann bei dem Lärm der Musik nicht hören, was sie sagen, beobachte jedoch, wie Orpheus dem Jungen ein Bündel Geldscheine gibt und der Junge meinem neuen Freund etwas in die Hand drückt. Hmm. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was hier vorgeht.
Und tatsächlich, Orpheus dreht sich lächelnd zu mir um und bedeutet mir, den Mund zu öffnen. Ich schüttle den Kopf. Erstens bin ich nicht wirklich der Drogentyp. Ich meine, natürlich habe ich experimen-tiert, aber nur in einer sicheren, kontrollierten Umgebung, inmitten von Freunden.
Er macht ein langes Gesicht, dann wiederholt er sein Angebot.
»Na komm schon«, sagt er. »Es wird dir helfen, deine Probleme zu vergessen und einfach die Nacht zu genießen.«
Ich zaudere. Ich meine, technisch gesehen bin ich ein Vampir. Ich bin unsterblich. Die Drogen können mir nichts anhaben. Und es wäre tatsächlich schön, einfach alles hinter mir zu lassen und in einem
drogeninduzierten Nebel davonzutreiben. In letzter Zeit habe ich nichts anderes getan, als zu arbeiten. Ich meine, warum bin ich überhaupt ein Vampir geworden, wenn ich vorhatte, genauso weiterzuleben, wie ich es immer getan habe?
Aber alle Rechtfertigungen der Welt können diese
Jahre des »Sag einfach Nein«, das mir als Kind in
Form von Werbespots eingebleut wurde, nicht aufwiegen. Und mein gesunder Menschenverstand erinnert mich immer wieder daran, dass ich mitten im Wald
mit einem Fremden zusammen bin. Ich darf auf gar
keinen Fall den Kopf verlieren.
»Nein danke. Mir geht es gut«, erkläre ich ihm,
obwohl ich ernstlich versucht bin, einfach Ja zu sagen.
»Lass uns nur tanzen, okay?«
Er wirkt verärgert, stopft jedoch die Pillen in seine Taschen und legt die Hände um meine Taille. Seine Berührung ist elektrisierend und schon bald verliere ich mich im Tanz; die Musik kitzelt an meinen Ohr-läppchen und die blitzenden bunten Lichter ziehen mich machtvoller in ihren Bann als jede Droge. Zum ersten Mal seit Monaten fühle ich mich einfach gut.
Richtig. Genieße den Augenblick, statt mir wegen
jeder Kleinigkeit Stress zu machen. All meine Probleme scheinen eine Million Meilen weit fort zu sein. Ich bin hier. Jetzt. Glücklich. Für immer.
Nun, vielleicht nicht für immer. Aber für den Augenblick. Und das reicht.
Orpheus zieht mich fester an sich. Wir reiben uns
aneinander und kichern, während wir uns im Rhythmus wiegen. Er ist so sexy. So cool. Ich bin total heiß.
Ich versuche, ein schlechtes Gewissen wegen Jareth heraufzubeschwören, der wahrscheinlich allein in seinem Hotelzimmer sitzt und sich irgendwelche
lehrreichen Sendungen ansieht, aber die Musik
verbietet jedwedes Gefühl der Reue. Außerdem, was
schert es mich, was er denkt? Er hat mit mir Schluss gemacht. Seine Entscheidung. Also Teufel mit ihm.
Wir tanzen stundenlang und trinken dabei eine
Flasche Wasser nach der anderen. Ich begegne
mehreren anderen Ravern, die mich umarmen und
willkommen heißen und mir Lutscher, kleine
Spielzeuge und Sticker anbieten. Ich fühle mich, als sei ich Teil einer glücklichen Familie, die mich mit offenen Armen in ihr Haus eingeladen hat. Niemand verurteilt mich hier. Dafür, wie ich aussehe, wie ich mich benehme, wo ich herkomme. Sie nehmen mich einfach in ihren drogenumnebelten Kreis auf.
Schließlich ergreift Orpheus meine Hand und zieht
mich von den anderen weg.
»Ich brauche eine Pause!«, sagt er lachend. »Du bist nicht zu bremsen.«
Wir geben zu einem tosenden Lagerfeuer am Rand der Lichtung und setzen uns auf den Boden. Ich halte die Hände hoch um die Wärme des Feuers zu spüren.
Orpheus rutscht hinter mich und fängt an, mir den
Rücken zu massieren. »Hmmm, das fühlt sich gut an«, schnurre ich. »Hör nicht auf.«
»Aufhören, die Schultern eines schönen Mädchens zu massieren? Verdammt unwahrscheinlich«, sagt er.
Mir fällt auf, dass die Dunkelheit sich langsam hebt.
Ein fleckiges Purpur erhellt den Himmel. Es muss fast Morgendämmerung sein. Ich blicke auf meine Nightmare-Before-Christmas -Uhr. Vier Uhr morgens.
»Ich muss zurück«, sage ich, obwohl der Gedanke,
irgendwo hinzugehen, jetzt gerade nach einer großen Anstrengung klingt. Die vom Tanzen hervorgerufene Adrenalinausschüttung kommt zum Erliegen, der
Stoff ist verbraucht und ausgeschwitzt. Ich bin mir plötzlich selbst zuwider. Meine Haut fühlt sich klebrig
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