Nur ein Kuss von dir
tief Luft. »Wissen Sie zufällig irgendwas über die beiden? Waren es Männer? Frauen? Wie alt? So was alles.«
»Tut mir leid, meine Liebe, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ein Rettungsboot sie rausgezogen hat, und wenn sie es nicht geschafft haben, den Rettungswagen unterwegs abzufackeln, werden sie im
Guy’s Hospital
sein. Warum? Vermissen Sie jemanden?« Er blickte mich scharf an.
»Oh, nein, nicht in der Hinsicht.« Ich suchte schnell nach etwas, das überzeugend klang und mir nicht wieder die Polizei ins Haus brachte, scheiterte aber kläglich. »Ich … ich hab bloß gehofft, dass heute nicht alle hier gestorben sind«, sagte ich zittrig.
Der Sanitäter blickte mich misstrauisch an, kam dann aber offenbar zu dem Schluss, dass ich keine Gefahr für irgendjemanden war, was immer ich auch im Sinn haben mochte.
»Wenn Sie nicht darauf warten wollen, mitgenommen zu werden, das
Guy’s
liegt in dieser Richtung.« Er zeigte über die Brücke. »Und lassen Sie sich die Wunde versorgen!«
Ich lächelte ihm kurz zu und sprang hinten aus dem Krankenwagen. Hier draußen herrschte immer noch das reine Chaos mit all den Menschen, die das Ufer säumten und riefen und gestikulierten. Die Sonne war nun fast untergegangen, und der dunkelrosa Himmel überzog alle Gebäude mit einem rosigen Schimmer. Nach Osten hin war es schon fast düster. In den Häusern brannten die Lichter und spiegelten sich im Fluss. Alle Feuer waren nun ausgegangen, doch die Flottille von kleinen Booten fegte immer noch über den Fluss hin und her und suchte mit Scheinwerfern nach den Häufchen rauchender Lumpen. Ich wollte nicht länger zusehen. Wenn Callum bei ihnen gewesen war, dann war er längst vergangen, das wusste ich. Ich konnte nur noch hoffen, dass er einer der beiden war, die gerettet wurden. Ich konnte meine Aufregung kaum unter Kontrolle halten. Es galt, keine Zeit mehr zu verlieren. Ich rannte zur Blackfriars Bridge zurück und rief einem Taxi, das nach Süden fuhr.
»Wohin, Schätzchen?«, fragte der Fahrer und versuchte, an mir vorbei einen Blick auf die Szene unten auf dem Fluss zu werfen.
»
Guy’s Hospital
, Notaufnahme, bitte.«
»Was ist denn da unten los? Im Radio hab ich was von einem Schiffsunglück gehört.«
»Ich weiß es auch nicht genau. Was es auch ist, es sieht alles sehr chaotisch aus.« Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und ließ ihn weitschweifig reden. Zum Glück dauerte es bis zum Krankenhaus nicht lange und mein Geld reichte. Nachdem ich ausgestiegen war, blieb ich einen Moment vor dem Eingang stehen und überlegte, wie ich vorgehen wollte. Mein Herz raste, und meine Hände waren feucht. Außerdem tat mein Arm weh, aber um mir darüber Gedanken zu machen, hatte ich keine Zeit. Ich ging hinein.
Die Notaufnahme war hell und überraschend leer. Mir wurde klar, dass ich mich gar nicht ins Gedränge stürzen musste. Die Frau hinter dem Schalter musterte mich scharf und nahm meine unordentliche Erscheinung und den verbundenen Arm wahr. »Tut mir leid, aber wegen eines größeren Unfalls können wir nur echte Notfälle aufnehmen. Die nächsten Notaufnahmestellen sind …«
»Ich brauche keinen Arzt. Ich bin hier, um nach jemandem zu suchen.« Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch ich sprach schnell weiter. »Jemand, der schon früher aus dem Fluss gezogen wurde? Ich weiß, dass ein paar Überlebende hergebracht worden sind. Ich habe meinen Freund verloren und mich gefragt, ob er es vielleicht ist.«
»Warten Sie einen Augenblick, ich sehe nach. Wie heißt Ihr Freund?«
»Callum.« Sie blickte mich erwartungsvoll an, die Hände über der Tastatur bereit. Mein Magen war vor Anspannung völlig verknotet. Wenn er es nun war? Und was, wenn er es nicht war? »Es tut mir leid, ich kenne nur seinen Vornamen«, gestand ich.
Sie hob ganz leicht die Augenbrauen und tippte eine Weile vor sich hin. »Tut mir leid«, sagte sie dann und blickte langsam auf, während ich mir fast die Finger brach, so fest umklammerte ich die Kante des Schalters. »Wenn Sie keinen Nachnamen wissen, kann ich nichts über die Patienten sagen, die zuvor eingeliefert wurden.« Sie warf einen Blick hinter mich. »An Ihrer Stelle würde ich mit den Polizeibeamten reden. Die sind ganz wild darauf, mit jedem zu sprechen, der irgendetwas weiß.«
Ich wirbelte herum, nicht bereit, schon wieder der Polizei gegenüberzutreten. Auch sie spähte wieder an mir vorbei. Der Raum war nahezu leer. »Hm, sie sind wohl gegangen, um sich was
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