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Nur ein Kuss von dir

Nur ein Kuss von dir

Titel: Nur ein Kuss von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. C. Ransom
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spürte die Veränderung. »Alles in Ordnung?« Er strich mir eine lose Haarsträhne wieder hinter das Ohr.
    »Ja, alles in Ordnung. Hab ich dir eigentlich die Geschichte von dem Armreif schon mal erzählt? Ich hab ihn im Uferschlamm der Themse gefunden. Er war mit einem Stück Draht an einem großen Stein befestigt.« Nun musste ich einfach den Stein in seinem Käfig aus wunderschön geflochtenen Silberdrähten berühren.
    »Wirklich? Da hast du aber Glück gehabt. Der muss doch eine Menge Geld wert sein.«
    »Ja, das glaube ich auch.« Ich verstummte, wusste aber, dass ich noch was sagen musste. »Den hat Callum auch am liebsten.«
    Max richtete sich auf und schüttelte leicht den Kopf. »Ich verstehe. Ich schätze mal, die erste Runde ist an Callum gegangen.« Als er das sagte, lächelte er, aber ich konnte die andere Botschaft in seinen Augen lesen.
    Wir machten uns auf den Rückweg die Felsen hinab in den weichen Sand, und das Schweigen zwischen uns wurde langsam peinlich. Mir war klar, dass ich etwas sagen sollte, doch alles, was mir einfiel, war so schrecklich belanglos. Schließlich dachte ich, ich könnte genauso gut jetzt die Frage stellen, die ich immer wieder hinausgeschoben hatte. »Ich weiß, das kommt jetzt etwas zusammenhanglos«, sagte ich fröhlich. »Aber du hast doch neulich gesagt, dass du Latein gelernt hast.«
    »Ja, schon. Hab grad das Abitur hinter mir und wollte das Thema eigentlich erst mal vergessen. Warum?« Die Überraschung war deutlich zu hören.
    »Ich bin neulich auf eine Inschrift oder so was gestoßen und glaube, es könnte vielleicht Latein sein, bin mir aber nicht sicher.«
    »Erinnerst du dich daran, was es war?«
    »Also, ich hab keine Ahnung, wie man das ausspricht, aber es war ungefähr so was wie
mor memoriae
.« Ich stolperte über die wenig vertrauten Worte.
    »Echt? Bist du sicher?«
    »Ich denke schon. Die Schrift war ein bisschen schwierig zu lesen. Aber das stand da, glaube ich.«
    »Kannst du es mir zeigen?«
    »Nein, tut mir leid, ich hab die Sache nicht bei mir. Es stand auf …« Ich zögerte, ich wollte nicht sagen, dass es in das Amulett eingraviert war, denn ich war mir ziemlich sicher, dass er nicht in der Lage gewesen wäre, die Worte zu sehen. »Es stand auf einem silbernen Fotorahmen, den jemand einer Freundin von mir geschenkt hat.«
    »Kannst du es aufschreiben?« Er beugte sich runter und zog einen langen Stock aus dem Treibholz am Ufer. Dann zeigte er auf eine Stelle mit glattem Sand.
    »Oh, klar, ich denke schon.« Ich nahm den Stock und fing an zu schreiben, wobei ich mir Mühe gab, alle Schnörkel der Schrift, an die ich mich erinnerte, mitzuzeichnen. Max stand neben mir und sah nachdenklich aus.
    »Aus dem Lateinischen kann man ein paar Worte ganz unterschiedlich übersetzen, weil sie nicht dieselbe grammatikalische Struktur hatten wie wir. Aber das hier ist nicht mal so was wie ein Satz.
Memoria
heißt Erinnerung, Angedenken, aber
mor
ist kein Wort, das ich mal gehört hätte.«
    »Wirklich? Vielleicht ist das gar kein Latein.«
    »Oder derjenige, der es geschrieben hat, konnte nicht besonders gut Latein. Vielleicht soll es
mors
heißen, und das bedeutet Tod.«
    Ich blieb auf der Stelle stehen und dachte an das schwach eingeritzte »s« zwischen den Worten. »Tod?«
    »Ja, ich denke mal, es könnte heißen ›Tod der Erinnerung‹. Vielleicht war es ein Rahmen mit Fotos von toten Verwandten.«
    Tod der Erinnerung
. Mir wurde klar, wie sehr ich darauf gehofft hatte, dass es etwas Tiefgreifenderes wäre, etwas, das vielleicht das Rätsel lösbar machte. Doch so passte es ausgezeichnet zum Amulett. Es beschrieb, was sie jeden Tag taten: Tote Menschen suchten einen endlosen Strom von Erinnerungen anderer Menschen. Es war genau die Widmung, die ich eigentlich hätte erwarten können. All diese armen Versunkenen, die von ihren Amuletten gefangen gehalten wurden, waren dazu bestimmt, niemals von ihrer Plackerei befreit zu werden.
    Ich blickte auf die Schrift im Sand, als eine etwas größere Welle angerollt kam. Ein weicher Schwapp Wasser verwischte schnell die Worte. Plötzlich war ich von Gefühlen überwältigt, verloren im Mitleid für die Seelen, die in ihrer grässlichen Existenz gefangen waren, die ihnen durch das Amulett mit seiner seltsamen Inschrift auferlegt war. Und ich kam nicht dahinter, wie ich sie retten konnte. Ein bohrendes Schuldgefühl überkam mich, weil ich nicht mehr Zeit dafür aufgebracht hatte, darüber nachzudenken.
    »He.« Die

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