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Die schwere Kiste ist, als sie von Hagen von Tronje versenkt wurde, so tief in den matschigen Untergrund eingesunken, dass sie regelrecht konserviert wurde, so ähnlich, wie man das auch von Moorleichen kennt.
Da von Tronje mitsamt Gefolgschaft in der Schlacht am Hof Attilas umgekommen ist, wusste nach seinem Tod niemand mehr, wo genau die Truhe zu finden war. Jahrhundertelang rankten sich die wildesten Geschichten um den verlorenen Schatz und er geriet zunehmend in Vergessenheit, während er in Wirklichkeit auf dem Grund des Rheins unter vielen Schichten Schlamm begraben lag.
Mir läuft ein Schauer über den Rücken, als mir bewusst wird, dass dies der endgültige Beweis dafür ist, dass die tragische Geschichte um Kriemhild und Siegfried wirklich passiert ist. Es ist also doch mehr als nur ein Märchen.
„ Und was ist drin? Können wir sie öffnen und uns den Schatz ansehen?“, flüstere ich mit trockenem Mund und vor Aufregung kratziger Stimme. George steht direkt neben mir und hat schon eine ganze Weile nichts mehr gesagt. Markus, der Florian noch ein paar Details erklärt hat, wendet sich nun uns zu.
„ Das hängt ganz davon ab, ob du die Erbin bist.“
„ Hä? Und dann? Lege ich die Hand auf, muss ich einen Tropfen Blut, oder gleich einen ganzen Liter, auf das Holz vergießen oder so?“ Meine Fantasie kennt nun keine Grenzen mehr. Vielleicht muss ich einen geheimen Spruch aufsagen? Ich überlege fieberhaft, ob meine Oma Gerda mir irgendwann etwas Geheimnisvolles gesagt hat, was mir jetzt helfen könnte, die Kiste zu öffnen. Etwas à la ‚Sesam öffne dich‘.
„ Nein, wir hacken deinen Kopf ab und hauen damit so lange auf die Kiste, bis sie sich von alleine öffnet“, grölt Florian und biegt sich vor Lachen.
„ Florian!“, schnauzt George ihn an. „Not funny, not at all!“
Florian entschuldigt sich hastig, aber ich nehme es ihm nicht weiter übel. So ist er halt. Ein liebenswerter Dummkopf mit einem fabelhaften Gespür dafür, immer die unpassendste Äußerung von sich zu geben.
„ Seid ihr jetzt fertig?“, will Markus mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen wissen. „Hier“, er deutet auf eine Reihe Schriftzeichen am Rand des Deckels, „seht ihr diese Inschrift? Wir haben schon in den Aufzeichnungen Andeutungen darüber gefunden, dass der Schatz zerstört wird, sollte man versuchen, die Kiste ohne den Schlüssel zu öffnen. Diese Inschrift besagt dasselbe.“ Er lässt den Finger über die Zeichen gleiten, es scheint eine Art Schrift zu sein, aber ich kann sie nicht entziffern.
„ Hast du den Schlüssel nicht, so wird der Schatz niemals dein sein“, übersetzt George die alten Schriftzeichen. „Das ist eine westgermanische Schrift“, fügt er hinzu. Von mir aus kann es auch nordtibetanisch oder ostgotisch sein, mich interessiert nur, was das bedeuten soll.
„ Ja super, und wo finden wir den Schlüssel? Hat dein bekloppter Vater den vielleicht auch irgendwo ausgebuddelt?“, motzt Florian herum.
„ Hilda, dein Armreif ist der Schlüssel“, sagt Markus, Florians Gemaule ignorierend, und streckt die Hand nach mir aus. Ja, klar! Der Armreif ist zugleich Bestandteil und Schlüssel…
Bei genauer Betrachtung der Schatztruhe fällt auf, dass dort, wo eigentlich das Schloss oder Schlüsselloch sein sollte, eine Holzscheibe mit verschiedenen Schnitzereien, Erhebungen und Vertiefungen angebracht ist.
„ Dann habt ihr die Kiste noch gar nicht geöffnet?“, frage ich atemlos und Markus schüttelt den Kopf.
„ Damit ich das richtig auf die Reihe kriege: Die Kiste steht seit Jahren hier und ihr habt sie nicht geöffnet? Weil das nur mit dem Ding da geht?“, vergewissert sich Florian, ungläubig auf mein Handgelenk deutend.
„ So sieht‘s aus. Aus den überlieferten Aufzeichnungen geht hervor, dass der Schatz sich selbst vernichtet, wenn man versucht, die Truhe gewaltsam zu öffnen. Und da mein Vater den Schlüssel nicht hatte, war ihm das Risiko zu groß.“
„ Ja, aber was hätte denn schon großartig passieren können? Meinst du nicht, dass das nur ein Trick ist? Wie soll sich denn eine Holzkiste aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert selbst vernichten?“, hakt Florian nach.
Markus erklärt, dass sein Vater verschiedene Experten bestellt hatte, um die Truhe näher zu untersuchen. Da das alles unter dem Mantel der Verschwiegenheit geschehen musste, konnten sie nicht allzu viel ausrichten. Das Einzige, worin sie sich einig waren, war, dass die theoretische
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