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müssen, damit ihr nachher alles gesehen habt. Mein Vater selbst ist immer auf der Suche nach neuen Stücken, mit denen er seine Sammlung erweitern kann, und war darin schon überaus erfolgreich. Manche Artefakte sind im Lauf der Jahrhunderte ins Ausland gekommen, und meinem Vater ist es gelungen, einige davon zurück zu holen.“ Markus lässt stolz seinen Blick durch den Raum schweifen.
„ Papperlapapp“, motzt Florian, „was für ein Blödsinn. Jeder weiß doch, dass die Nibelungen niemals existiert haben. Es ist nur eine Geschichte, die früher erzählt wurde, und die in verschiedenen anderen Geschichten wieder aufgegriffen wurde. Eine Legende. Eine Sage. Ein Märchen. Nichts weiter.“
Schockiert über so viel Unverschämtheit stoße ich Florian den Ellenbogen in die Rippen. „Sei ruhig“, zische ich ihn wütend an, doch Markus reagiert gelassen.
„ Ach, lass nur Hilda. Wir haben öfter mit Leuten zu tun, die ignorant sind und nur das glauben, was sie mit eigenen Augen gesehen haben.“
„ In der Forschung ist es tatsächlich bis heute umstritten, ob die Nibelungen wirklich existiert haben oder nicht. Renommierte Wissenschaftler behaupten, es habe sie wahrhaftig gegeben. Sie haben stichhaltige Anhaltspunkte dafür“, mischt sich nun auch George in die Diskussion ein.
„ Also ehrlich“, stänkert Florian weiter, „dann kann man auch gleich an den Weihnachtsmann glauben. Oder an die Zahnfee. Ich sage es noch einmal: Es ist nur ein Märchen, nichts weiter!“
„ Gut, dann glaub du halt nicht daran. Meine Familie und ich, wir wissen nun mal, was wir wissen. Mein Vater bezahlt teure Untersuchungen, um die Echtheit seiner erworbenen Ware bestätigen zu lassen. Natürlich hat er auch schon mal einen Dolch erworben, der sich dann im Nachhinein als zweihundert Jahre zu jung herausgestellt hat. Der kam dann auch nicht in die Sammlung. Alles, was ihr hier sehen könnt, ist hundertprozentig echt. Und eines Tages, das werdet ihr schon sehen, wird mein Vater auch noch den legendären Schatz der Nibelungen finden. Und wenn er es nicht schafft, dann werde ich es tun.“
„ Na, na, na, mein Sohn, jetzt übertreib mal nicht.“ Ein Mann mittleren Alters, der Ähnlichkeit mit George Clooney hat, betritt durch eine versteckte Tür den Raum. Ich erkenne in ihm den eleganten Herrn, mit dem George sich gestern im Backstage-Bereich unterhalten hat.
Er hat das majestätische Auftreten, das voll und ganz zu den Räumlichkeiten passt, und stellt sich als Wolfram Wiesenthal vor. Das also ist Markus‘ Vater, der berühmt-berüchtigte Wolfram Wiesenthal.
„ Naja, ich meine ja nur, ist doch so“, nuschelt Markus und mir fällt auf, dass er jetzt, in Anwesenheit seines Vaters, nicht mehr wie der souveräne Herr des Hauses wirkt.
Diese Rolle hat nun Wiesenthal Senior eingenommen, und sein Sohn erscheint wie ein Schuljunge. Markus stellt uns seinem Vater vor und als ich an der Reihe bin, ergreift dieser meine Hand, blickt mir tief in die Augen und sagt: „Hilda. Es ist mir ein besonderes Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Dieses Auftreten, diese Ausdrucksweise, alles passt perfekt in einen Jane-Austen-Roman.
„ Erweisen Sie mir die Ehre und lassen Sie mich persönlich eine kleine Führung mit Ihnen machen. So kann ich Ihnen auch gleich die wichtigsten Informationen dazu geben. Markus vergisst meist besonders interessante Details“, spricht der Vater und schickt damit den Sohn auf die Ersatzbank.
Markus zieht eine Grimasse, widerspricht aber nicht. Wiesenthal und George gehen vor und George kann sein Glück gar nicht fassen. Nicht nur, dass er eine Führung durch die höchst private Villa Wiesenthal bekommt, nein, jetzt bekommt er sie auch noch von dem aktuellen Besitzer der Sammlung höchstpersönlich.
Er bombardiert Wiesenthal geradezu mit Fragen und dieser scheint bereitwillig Rede und Antwort zu stehen. Florian, Markus und ich trotten hinterher und ich fühle mich wie ein Kind beim Schulausflug. Der Lehrer rennt total begeistert durch das Museum und die Schulklasse interessiert sich kaum für die Ausstellung.
„ Das macht er immer, er spielt sich immer auf wie Graf Koks“, meckert Markus neben mir leise.
„ Ach, mach dir nichts draus. Ist schon okay“, versuche ich, ihn ein wenig aufzubauen.
Wir bleiben vor einem Bild stehen, das mir zunächst wegen des verschnörkelten goldenen Rahmens ins Auge sticht. Dann sehe ich, was dort abgebildet ist, und es läuft mir eiskalt den Rücken hinunter. Mein
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