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vorbei gehen soll. Ich persönlich hasse es abgrundtief, wenn Leute unangemeldet vor meiner der Tür stehen. Aber ältere Leute freuen sich meistens über Besuch, auch wenn er unangemeldet ist. Bei älteren Damen ist sowieso immer das ganze Haus tiptop aufgeräumt, es würde nicht vorkommen, dass mal benutzte Wäsche auf dem Boden liegt oder noch das Geschirr vom Vortag ungespült in der Küche herumsteht.
Und wenn ich sie vorher anrufe, dann wäre es durchaus möglich, dass sie mich gar nicht sehen will, erst recht wenn sie erfährt, wer ich bin. Immerhin sind sie und Oma schon so lange zerstritten, dass Hannelore selbst zu meinem Vater – ihrem Patenkind – keinen Kontakt mehr hat, und ich erst heute von ihrer Existenz erfahren habe. Wenn ich sie anrufe, dann erlaubt sie mir nie, sie zu besuchen.
Und falls ich vor der Tür stehe und sie die falsche Hannelore ist? Na ja, dann sage ich halt, ich hätte mich in der Adresse geirrt und gut ist’s.
Damit ist die Entscheidung gefallen: Ich werde nun meine Großtante kennenlernen. Hoffentlich.
Schnell suche ich mir über Google-Maps die Wegbeschreibung heraus und schreibe sie stichwortartig auf das im Zimmer bereitliegende Hotelbriefpapier. Ich habe mich schon immer gefragt, wer denn tatsächlich im Hotel Briefe schreibt. Ich hab’s mir ja gleich gedacht: niemand. Das Briefpapier wird wohl von allen anderen auch nur als Notizzettel oder Schmierpapier benutzt.
Nicht meine Aufgabe, darüber nachzudenken. Sollen die Hotelchefs sich doch selbst ihre Köpfe über Sinn und Unsinn von Hotelbriefpapier zerbrechen…
Ich schnappe mir meine Tasche und meine Jacke, an der Tür bemerke ich, dass ich meine Wegbeschreibung vergessen habe, schnappe mir die auch noch, und dann bin ich weg.
Der Weg zu Hannelore Meinig ist leicht zu finden und es ist auch gar nicht mal weit vom Hotel entfernt. Nach gut zwanzig Minuten Fußweg stehe ich vor der Tür eines kleinen Reihenhäuschens mit gepflegtem Garten. Der schmale Weg von der Straße zur Tür ist von Blumenbeeten gesäumt, die Hecke ist akkurat gestutzt und ich fühle mich ein bisschen wie bei Mr. Hobbygärtnerchampion höchstpersönlich.
Auf dem kleinen Klingelschild stehen zwei Namen: Hannelore Meinig und Rüdiger Wirtz. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und drücke mit dem vor Aufregung zitternden Zeigefinger auf die Klingel. Von drinnen ist wütendes Gebell zu hören, dann schnelle Schritte und schließlich öffnet sich die Tür. Heraus schießt ein Dackel, der trotz seiner eben noch wütenden Ansage eher friedlich zu sein scheint, und begrüßt mich schwanzwedelnd. Hinter dem Dackel steht ein älterer Herr, die grauen Haare mit Pomade an den Kopf geklebt, die Füße in Filzpantoffeln.
Erstaunt sehe ich ihn an, wegen der schnellen Schritte hinter der Tür hatte ich eine wesentlich jüngere Person erwartet. Ältere Menschen in Filzpantoffeln schlurfen meiner Meinung nach mehr, als dass sie schnell durch Flure flitzen.
„ Ja bitte?“, fragt er mich mit dröhnender Altmännerstimme. Warum hören sich eigentlich die meisten alten Männer so an, als könnten sie ganz allein – ohne Mikrofon – ein Stadion beschallen?
„ Guten Tag“, beginne ich freundlich lächelnd. „Ich suche Hannelore Meinig“, sage ich auf das Klingelschild deutend. „Sie wohnt doch hier, oder?“
Er sieht mich prüfend an, hebt fragend die buschigen Augenbrauen, und dröhnt wieder los. „Wer will das wissen?“
Doofe Frage. „Na, ich“, versuche ich zu scherzen, aber er lacht nicht. Hat offensichtlich keinen Sinn für Humor, der Gute.
„ Was wollen Sie denn? Wie eine von den Zeugen Jehovas sehen Sie nicht gerade aus.“ Er mustert mich von oben bis unten. „Und für einen Staubsaugervertreter haben Sie wenig Gepäck.“ Oha, der gute Mann weiß also doch, was Humor ist.
„ Nein, ich möchte sie nur gerne etwas fragen. Möglicherweise kenne ich sie nämlich, und ich würde gern wissen, ob diese Hannelore Meinig meine Bekannte Hannelore Meinig ist.“ Ja, ich schwindele ein bisschen, aber wenn ich direkt mit der Wahrheit rausrücke, riskiere ich – wegen der problematischen Familienvorgeschichte – die Tür vor der Nase zugeknallt zu bekommen.
„ Hmhm“, brummt es von irgendwo unterhalb des geschwungenen Schnauzbartes. Und bevor es noch mehr brummen kann, kommt eine goldige ältere Dame in den Flur getrippelt und guckt vorwitzig zur Tür.
„ Rüdiger, Heinz-Heinrich, was ist denn los?“ Heinz-Heinrich? Der Mann ist wohl
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