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Hoffentlich kommt er bald zu uns und erlöst mich von der beklemmenden Anwesenheit seines Vaters.
Wiesenthal Senior führt mich ins Wohnzimmer, bietet mir einen Platz auf dem Sofa an, macht sich an der Bar zu schaffen und beobachtet mich aus den Augenwinkeln.
Eigentlich hatte ich ihn nur um ein Glas Wasser gebeten, aber das scheint unter seiner Würde zu sein. Unwohl sehe ich mich um. Naja, Markus wird sicher gleich kommen.
Mit zwei Gläsern und einem Zahnpasta-Werbespot-Lächeln kommt mein Gastgeber und setzt sich mir gegenüber in einen Sessel.
„ Erzählen Sie doch mal, was haben Sie sich denn schon so angesehen hier in der Stadt?“, beginnt er den Small-Talk.
Ich erzähle ihm ein bisschen über die Nibelungenfestspiele und das Museum, aber eigentlich weiß ich nicht richtig, was ich sagen soll. Außerdem wollte Markus mir doch etwas erzählen, was sein Vater auf keinen Fall wissen darf. Wie soll das denn gehen, wenn der hier sitzt und anscheinend alle Zeit der Welt hat? Hoffentlich kommt Markus bald, die Situation ist echt seltsam.
„ Wann muss Markus denn weg? Er hat doch sicher gleich seinen Auftritt? Ich kann auch ein anderes Mal wiederkommen“, sage ich und schiele zur Uhr. Gleich sechs.
Wiesenthal antwortet nicht und sieht mich nur an. Allmählich beginne ich, mich richtig unbehaglich zu fühlen. So richtig richtig unbehaglich. Hoffentlich kommt Markus bald, schießt es mir in einer Endlos-Schleife durch den Kopf.
Nach einigen schweigsamen Minuten, die sich anfühlen wie Tage, Wochen, Monate, fühle ich mich schließlich genötigt, das Gespräch wieder aufzugreifen.
„ Sie haben eine beeindruckende Sammlung hier. George konnte sich kaum halten vor Begeisterung“, beginne ich und hoffe, dass ihn meine Komplimente aus seiner komischen Ich-trinke-und-beobachte-dich-schweigend-Haltung locken.
„ Nun ja, meine Sammlung ist sicherlich nicht zu verachten“, setzt er an und blickt sich sichtlich stolz um. „Zumal sie weitaus größer ist, als Sie auch nur erahnen. Aber zu meinem Leidwesen muss ich sagen, dass sie leider inkomplett ist.“ Er wirft mir einen vielsagenden Blick zu, den ich nicht deuten kann.
„ Ach, welche Sammlung ist schon richtig vollständig“, lache ich – ein wenig künstlich, aber froh, dass das Schweigen beendet ist. Trotzdem könnte Markus sich mal beeilen.
Sein Gesichtsausdruck wird ernst und undurchdringlich. „Sie könnten mir helfen, meine Sammlung zu vervollständigen“, sagt er in einem Tonfall, der mir die Gänsehaut über den Rücken jagt. Hoffentlich kommt Markus bald, schreit es geradezu in mir. Wie lange kann es denn dauern, sich umzuziehen?!
„ Wie meinen Sie das?“, frage ich mit einem zuckersüßen Lächeln, während mir das Blut in den Adern gefriert.
Er beugt sich nach vorn und das Herz schlägt mir bis zum Hals. „Ich glaube, Sie können sich schon denken, worauf ich aus bin.“ Er greift nach meiner Hand. Ich ziehe sie instinktiv zurück und verstecke sie hinter dem Rücken.
„ Sie haben mittlerweile eine Vorstellung davon bekommen, welchen Wert Ihr Schmuckstück hat. Auch wenn Sie mit Sicherheit noch nicht das ganze Ausmaß erfasst haben.“ Seine Stimme klingt abwertend und er setzt sich wieder gerade in seinen Sessel. Sein Blick ist ebenso abfällig wie sein Tonfall.
Was meint er damit? Ich habe eine Vorstellung vom Wert meines Schmucks bekommen, woher weiß er das? Und wo zum Teufel bleibt Markus?
Als hätte er einen Teil meiner Gedanken erraten, setzt er zu einer Erklärung an. „Sie waren bei einem Juwelier hier in der Stadt und haben ihn um eine Einschätzung des Wertes gebeten. Dieser Juwelier ist zufällig ein guter Freund von mir und hat mir davon erzählt. Um es auf den Punkt zu bringen und eine lange Geschichte zu verkürzen: Ich will Ihren Armreif.“ Er lächelt mich mit einem raubtierhaften Gesichtsausdruck an. „Wo wir gerade darüber sprechen, wo ist denn das gute Stück? Sie tragen es nicht?“
„ Ähm, ich habe ihn, äh, im Hotel gelassen“, antworte ich, doch ich merke selbst, dass es unglaubwürdig und nicht ansatzweise überzeugend klingt. Andererseits weiß ich auch nicht recht, warum ich überhaupt lüge. Ich habe doch nichts zu verheimlichen! Diese angespannte Stimmung macht mich total fertig. Ich muss hier raus, Markus hin oder her. Unruhig rutsche ich auf der Couch herum.
„ Ich möchte Ihnen den Armreif abkaufen“, greift Wiesenthal das Gespräch wieder auf.
„ Nein, tut mir leid, das ist ein
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