Nur ein Märchen?: Gratisaktion bis 15.10.2013!
Familienerbstück und ich verkaufe es nicht“, erkläre ich mechanisch. Ein Anflug von Panik lässt mich am ganzen Körper erzittern. Bei meinem letzten Besuch hier habe ich dauernd leise, huschende Schritte, Türenschlagen und andere Geräusche des Dienstpersonals gehört, doch jetzt ist es so still, dass man das Ticken der großen Standuhr hört – und sonst nichts.
„ Hilda, ich bin mir sicher, dass dieses Familienerbstück einen ganz besonderen Wert für Sie besitzt, aber ich versichere Ihnen, es ist für mich unendlich viel wertvoller. Ich zahle Ihnen einen guten Preis dafür.“ Jetzt setzt er wieder seinen ganzen Charme ein, lächelt, zwinkert, gibt sich verständnisvoll, aber in mir sträubt sich alles gegen diesen Mann. Bei aller Nettigkeit erkennt man doch, dass sein Blick kalt und emotionslos ist.
„ Wir sprechen hier über Beträge im sechsstelligen Bereich“, erläutert Wiesenthal und macht eine großzügige Handbewegung. „Geld spielt wirklich keine Rolle. Überlegen Sie sich doch mal, was Sie sich schon immer erträumt haben. Ich verspreche Ihnen, ich werde es Ihnen ermöglichen. Ein schickes Auto? Eine Weltreise? Oder etwas sesshafter, ein Haus vielleicht?“
Meine Angst verwandelt sich angesichts seiner Überheblichkeit in blanke Wut. Zornig springe ich auf.
„ Herr Wiesenthal, danke für das Angebot, aber nein bleibt nein. Ich verkaufe den Schmuck nicht, für kein Geld der Welt. Und ich werde jetzt gehen. Richten Sie Markus bitte aus, dass ich hier war. Und das ist mein letztes Wort.“ Meine Stimme zittert, aber wenigstens habe ich meine Gedanken klar ausdrücken können. Es ist mir egal, was Markus von mir denkt und wo er bleibt, ich will nur noch raus hier. Mit diesem Mann will ich keine Sekunde länger in einem Raum bleiben, auch nicht für oder wegen Markus.
Einen Moment lang funkeln wir uns an, anscheinend beide gleichermaßen wütend auf den jeweils anderen, dann ändert sich Wiesenthals Haltung. Er lehnt sich entspannt in seinem Sessel zurück und hält sein Glas hoch.
„ Hilda“, beginnt er in einem erstaunlich freundlichen Tonfall, „ich schätze starke Frauen wie Sie. Es tut mir leid, wenn ich Sie verärgert habe, und ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung. Selbstverständlich akzeptiere ich ihre Entscheidung. Bitte, nehmen Sie doch wieder Platz.“
Er macht eine einladende Handbewegung, doch ich zögere. Seine Freundlichkeit überzeugt mich nicht und alles in mir schreit danach, wieder außerhalb der großen Mauern und massiven Tore zu sein, zur Hölle mit Markus-Hugh-Jackman-ich-lade-dich-ein-und-tauche-nicht-auf-Wiesenthal.
„ Setzen Sie sich und stoßen Sie mit mir an. Wir trinken auf Sie und Frauen mit einem starken Willen, dann gehe ich nachsehen, wo Markus bleibt. Dem Jungen muss mal einer Manieren beibringen. Eine schöne Frau lässt man niemals warten. Ich werde ihm schon Beine machen, das werden Sie gleich sehen!“ Er lacht und hält mir sein Glas entgegen.
Okay, was ist schon dabei? Er hat mein ‚Nein‘ akzeptiert und gleich werde ich Markus sehen, also scheint doch alles in Ordnung zu sein. Erleichtert über die plötzlich gelöste Atmosphäre nehme ich mein bisher unberührtes Glas, stoße mit ihm an und nehme einen großen Schluck. Iiiih, Martini oder so, auf jeden Fall eine Art Drink, wie ich sie überhaupt nicht mag.
Ich setze mein Glas wieder vorsichtig auf dem Tisch ab und blicke Wiesenthal erwartungsvoll an. Er wollte Markus rufen gehen, warum steht er nicht auf?
Plötzlich wird mir ganz komisch, ich höre das Ticken der Uhr nur noch gedämpft, mein Blick ist verschleiert. Scheiße, ich fühle mich wie beim Mittagessen in diesem Restaurant. Ich muss raus, an die frische Luft, hoffentlich geht Wiesenthal nun endlich Markus rufen!
Als ich versuche aufzustehen, knicken meine Beine einfach unter mir weg und ich falle auf den weichen Teppich. Ich registriere noch geradeso, dass Wiesenthal sich aus seinem Sessel erhebt und sich mit einem diabolischen Grinsen über mich beugt. Dann wird alles schwarz.
Als ich wieder zu mir komme, ist es dunkel. Mir ist kalt und ich scheine auf einer Art Metallpritsche zu liegen, zumindest fühlt es sich so an. Sehen kann ich nichts und mir ist furchtbar übel, alles dreht sich. Vorsichtig bewege ich meine Zehen und Finger, das klappt schon mal. Außerdem habe ich das Gefühl, dass durch die Bewegung die Taubheit aus meinem Körper vertrieben wird, also balle ich die Hände zu Fäusten und öffne sie wieder,
Weitere Kostenlose Bücher