Nur Ein Toter Mehr
nicht so reden, wenn du sie gesehen und gehört hättest. Sie ist völlig durch den Wind, Sam, hat sich ständig verhaspelt, sodass es fast unmöglich war, ihr zu folgen. Immerhin habe ich so viel rausgehört, dass nachts die Angst am größten ist und sie nur noch schlafen kann, wenn ihr Mann bei ihr ist. ›Aber heute ist er die ganze Nacht fort‹,hat sie gejammert, und dann hat sie sich vor mich auf die Knie geworfen und mich angefleht, heute bei ihr zu übernachten. Da konnte ich nicht anders und habe Ja gesagt.«
»Wie bitte?!«, rufe ich so aufgebracht, dass mein armer Kopf fast zerspringt.
»Offen gestanden sollst du zu ihr kommen, aber damit es kein Gerede gibt, werde ich dich begleiten.«
»Wie kommst du dazu, das über den Kopf deines Chefs hinweg zu entscheiden?!«, poltere ich. »Warum hast du ihr nicht erklärt, dass das vielleicht alles eine Schnapsidee von ihrem Mann und ihrem Schwager war, die dummerweise schiefgelaufen ist? Ihre Ängste wären damit wie weggeblasen.«
Verständnislos schüttelt Koldobike den Kopf und deutet mit ihrem Zeigefinger zu meinem allerheiligsten Regal.
»Was bist du nur für ein Schlappschwanz, Sam Esparta. Deine Idole zögern keine Sekunde, wenn sie eine Frau in Bedrängnis wissen! Und sie lassen sich auch nicht die einmalige Gelegenheit entgehen, sich in den Häusern ihrer Protagonisten umzusehen. Ein altes Gehöft wie Zumalabena hütet viele Geheimnisse.«
Kurz wartet sie auf meine Reaktion, da ich jedoch schweige, erklärt sie kategorisch:
»Wir verbinden es mit einem schönen Spaziergang im Mondschein.«
Ich gebe mich jedoch noch nicht völlig geschlagen.
»Eladio Altube könnte sie mit einem einfachen Geständnis beruhigen«, murmele ich. »Warum tut er das nicht?«
»Und wenn deine Theorie falsch ist? Hängst du so wenig an deinem Krimi, dass du so schnell auf einen Täter verzichtest?«
Stöhnend greife ich wieder an meinen Hinterkopf.
»Ich will nur in mein Bett.«
»Da kommst du noch früh genug hin. Du wirst sehen, die frische Luft wird uns guttun. Aber jetzt lass mich erst einmal nach deiner Beule sehen.«
Dass Koldobike sich offenbar auf einen gemeinsamen Spaziergang gefreut hat, verwirrt mich ein bisschen, letztlich setze ich mich aber durch, und so steigen wir gegen zehn in den Bummelzug in Richtung Larrabasterra, nachdem wir beide kurz zu Hause waren, sie, um sich eine gelbe Windjacke und bequeme Schuhe anzuziehen, und ich, um einen Teller Suppe in mich hineinzulöffeln, meiner Mutter und meiner Schwester irgendwas von einer Partie Schach mit ein paar Freunden zu erzählen und mir noch schnell den Trenchcoat zu schnappen.
Die Beule ist zum Glück halb so wild, und meine Schläfrigkeit ist durch das Ruckeln des Waggons bald verflogen. Ich werde diesen nächtlichen Besuch eben als kleine Episode betrachten, beschließe ich gerade gedankenversunken, als Koldobike etwas näher an mich heranrückt, um mich flüsternd auf den neuesten Stand zu bringen, was man sich über Bidane und Eladio erzählt.
»Ihre Ehe hat nie Anlass zu Gerede gegeben, man weiß nur, dass sie in jungen Jahren unheimlich verliebt gewesen waren. Nach Leonardos Tod sah es dann aber plötzlich so aus, als wolle er nichts mehr mit ihr zu tun haben. Dabei konnte die arme Frau doch gar nichts dafür, dass der Bruder ihres Verlobten ums Leben gekommen war! Ein ganzes Jahr ging Bidane immer wieder zu seinem Hof und rief nach ihm, flehte ihn verzweifelt an, doch bitte zu ihr herunterzukommen, aber er wollte nur allein sein, er musste den Tod seines Bruders erst einmal verarbeiten, was ihm wohl sehr schwerfiel … Die Zwillinge wohnten damals auf einem halb verfallenen Hof in Berango. Man stelle sich das mal vor: MitMitte zwanzig hatten sie schon das Geld für einen Hof zusammengespart … na ja, vielleicht hatten sie den Hof seinem vormaligen Besitzer auch irgendwie abgeluchst … es wurde gemunkelt, dass sie ihn von den Kröten gekauft hätten, die sie Efrén Baskardo gestohlen hatten … Um aber auf die beiden zurückzukommen: Irgendwann haben sie dann aber doch geheiratet, und seit sechs Jahren leben sie nun auf Zumalabena, dem Hof von Bidanes verstorbenen Eltern.«
»Und jetzt hat sie Angst.«
»Und Sam kommt, um sie zu retten.«
17 Zumalabena
Zumalabena, der um einiges größer ist als andere Aussiedlerhöfe, liegt in einem dunklen Tal, in dem zu dieser nachtschlafenden Zeit ein rauschender Bach das einzige Leben zu sein scheint. Nicht ein beleuchtetes Fenster, noch nicht
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