Nur eine Liebe
beschützen. »Ana.«
Sam folgte meinem Blick zu dem großen Mann auf der anderen Seite des Raums, der langsam aufstand und mich zornig ansah. Der Mann war riesig, mit so breiten Schultern, dass Sam daneben klein wirkte. Kurzes braunes Haar ließ ihn kahl aussehen, und einige Tage alte Bartstoppeln verdunkelten sein Gesicht. Er hieß Merton; ich hatte ihn vor dem Rat Beschwerden führen und Anti-Neuseelen-Ansprachen halten hören.
Anti-Ana-Ansprachen, denn es hatte nur mich gegeben.
Bis jetzt.
»Das ist deine Schuld.« Der ganze Zorn, der sich unter seinen Worten aufbaute, ließ ihn noch größer erscheinen. Als wäre Wut ansteckend, begann der ganze Raum zu kochen. »Meuric hatte recht. Li hatte recht. Sie war nur die Erste, die jemanden ersetzte. Jetzt hat Lidea einen Zweiten geboren.«
Auf dem Bett starrte Lidea auf den Säugling in ihren Armen, als wüsste sie nicht, was sie jetzt tun solle. Tränen rannen ihr über das schweißnasse Gesicht.
»Seelenlose werden alle ersetzen«, rief jemand aus den hinteren Reihen. Seine Stimme war schrill vor Panik, und dann verlor sie sich unter der Welle argwöhnischen Gemurmels.
»Das ist eine Invasion!«, rief Merton.
Ein kleiner Ruf der Zustimmung erhob sich, erst zögernd, dann mehrten sich schnell die Stimmen.
»Wenn Sylphen über die Stadt herfallen«, brüllte Merton, »was machen wir dann? Wir fangen sie ein und schicken sie hinter die Grenzen des Reiches.«
Leute nickten heftig. Einige applaudierten.
»Wenn Kentauren in unseren Wäldern jagen«, fuhr Merton fort, »vertreiben wir sie mit Gas, das die Bänder auflöst, die ihre beiden Wesenshälften zusammenhalten.«
Mir wurde flau im Magen, aber jeder hing mit gespannter Aufmerksamkeit an Mertons Lippen. Er sah so aus, als könne er es gar nicht erwarten, das auszusprechen, was sie alle hören wollten.
»Jetzt müssen wir lernen, uns gegen diese neue Bedrohung zu wehren.«
Er betrachtete uns als Monster. Dieses Baby, das kaum seinen ersten Atemzug getan hatte, und mich. Donnernde Zustimmung von mehreren Leuten. Mit Merton als Dirigent schwollen die Rufe immer weiter an.
Das Baby weinte, und Lidea drückte es an sich, aber sie weinte ebenfalls. Meine Freunde brüllten zu meiner Verteidigung, und die Geburtsassistentinnen befahlen den Leuten, den Raum zu verlassen. Niemand gehorchte. Die Leute riefen weiter durcheinander, zeigten mit Fingern auf mich und drängten sich näher an mich heran, während sich ihre Mienen verfinsterten. Sie brannten praktisch.
Ihre Hitze erfüllte mich und ließ keinen Raum für Ungläubigkeit oder Schock. Wie konnte ich schockiert sein, wenn einige dieser Leute mir nichts als Hass entgegengebracht hatten?
Aber während die Rufe immer lauter wurden und das Baby schrie, ersetzte mein eigener Zorn meine Angst. Wie bei einem Geysir baute sich Druck in mir auf, brodelte mit der Hitze der mich umgebenden Kakofonie – wie die Energie der Krater des Reiches. Ich war bereit auszubrechen.
»Halt!« Ich wand mich aus Sams Griff und stieg auf einen Stuhl. »Genug!«
Sie alle starrten mich an – Geburtsassistentinnen, Beobachter und Seelenkundler –, und ich stellte mir vor, wie Geysirdampf durch den Raum schwebte und sie so benommen machte, dass sie schwiegen. Nur das Baby weinte noch, und dann legte Lidea es sich an die Brust.
Stille.
Ups. Alle sahen mich an.
Auf dem Bett drückte Lidea das Baby an sich. Schweiß tropfte ihr von den Schläfen, und ihre Haut war bronzefarben angelaufen. Im Raum roch es nach Salz und Kupfer und anderen Dingen, die ich nicht identifizieren konnte.
Ich konzentrierte mich auf das Geysirgefühl, wie wütend ich darüber gewesen war, dass alle dem Baby Angst gemacht und gedroht hatten, es zu töten, als wäre es eine Art Ungeheuer.
Sie würden ihm nicht wehtun. Ich würde es nicht zulassen.
»Ich hatte angenommen, dass ihr alle vernünftige Menschen seid, die wissen, wie man sich in Gegenwart eines Säuglings benimmt.« Meine Stimme zitterte. So viel dazu, dass ich stark sein wollte wie ein Geysir. »Wenn ihr brüllen wollt, tut es draußen. Das hier ist nicht der richtige Ort dafür.«
Niemand bewegte sich; ich war mir nicht sicher, ob das besser war als das Gebrüll.
»Wenn ihr schon nicht auf das Baby Rücksicht nehmen wollt, dann wenigstens auf Lidea. Oder bedeutet sie euch nichts mehr?«
Das beschämte einige Leute, die sich aus dem Raum stahlen. Ich blieb auf dem Stuhl, als sie vorbeigingen.
»Noch jemand?« Ich ahmte die zornige Miene
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