Nur eine Liebe
hätte ich Stefs Bemerkung nicht gehört, obwohl alle es bestimmt besser wussten.
Das Geburtszentrum war ein warmer, offener Bereich des Krankenhausflügels, mit Seidenwänden, die von Metallregalen gehalten wurden. Wir eilten an dem hell erleuchteten Büro der Seelenkundler vorbei und auf den fröhlich geschmückten Wiedergeburtsraum mit seiner Ansammlung von medizinischen Geräten – nur für den Fall – zu. Die meisten davon wurden seit einhundert Jahren nicht mehr benutzt.
Als wir den überfüllten Raum betraten, verstummte das Stimmengewirr, und die Leute schauten auf, um zu sehen, wer gekommen war. Lidea lag mit einem Kissen im Rücken und geschlossenen Augen im Bett, umringt von einer Gruppe von Geburtsassistentinnen.
»Es dürfte jetzt nicht mehr lange dauern«, meinte Stef, während sie ihren Mantel zusammenfaltete. »Du kannst deine Sachen auf ein Regal legen, Ana. Aber es sieht so aus, als würden wir stehen müssen. Alle Stühle sind besetzt.«
»Warum sind hier so viele Leute?« Ich legte meinen Mantel und Schirm neben ihre Sachen. »Es müssen fast fünfzig sein. Werden sie alle bei der Geburt zusehen?«
»So ist es.« Stef ließ ein Lächeln aufblitzen, beinahe wie eine Entschuldigung für ihre frühere Gefühllosigkeit.
Ich würde mir merken müssen, dass diese Art von Ereignis Menschenmengen anzog, denn in dem unwahrscheinlichen Fall, dass ich tatsächlich jemals ein Baby bekam, würde jemand dafür zuständig sein, die Tür zu schließen.
Sam nahm meine Hand und führte Sarit, Stef und mich durch die Menge der plaudernden Menschen, die darüber spekulierten, wer wohl zurückkommen würde.
»Seht mal«, murmelte jemand, »die Seelenlose ist hier.«
Schock durchfuhr mich, dicht gefolgt von Scham. Ich war keine Seelenlose. Ich war es nicht .
Es benutzten nur noch wenige Leute das Wort »Seelenlose«, was hatte sich also verändert? Vielleicht war es diese Geburt: Lidea war nach dem Tempeldunkel schwanger geworden, und alle waren nervös. Trotzdem hielt ich den Kopf beim Gehen gesenkt, als könnte ich mich vor den Worten verstecken.
»Sie wird Lidea verfluchen.« Und: »Sie hat bereits alle verflucht. Sie und Menehem. Sie haben das Tempeldunkel geplant.« Und: »Dossam ist bei ihr. Er ist nicht besser.«
Sam umfasste schmerzhaft meine Hand, aber keiner von uns reagierte auf die Sprecher. Sosehr ich mich auch verteidigen wollte, dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht hätte ich nicht herkommen sollen. Das Letzte, was Lidea brauchen konnte, war ein Streit um meine Gegenwart.
»Oft«, sagte Sam, als hätten wir nicht eine Menge Leute über mich reden hören, »können wir voraussehen, wer geboren wird, da es nicht viele Möglichkeiten gibt. Vielleicht zwei oder drei. Normalerweise besuchen ihre besten Freunde die Geburt, um sie wieder willkommen zu heißen.«
Wir fanden einen Platz hinten an der Wand, und ich antwortete: »Viele haben ihre Freunde verloren.«
Sam sprach leise, als er seine Aufmerksamkeit dem Bett und den darum versammelten Geburtsassistentinnen zuwandte. »Ja.«
Wend, Lideas Partner, stand neben ihr, strich ihr übers Haar und flüsterte ihr Mut zu. In der Nähe sagte jemand, dass sie jetzt presse, daher würde es nicht mehr lange dauern.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, aber aus unserer Ecke konnte ich nicht mehr sehen als Wends Kopf. Zu viele Leute waren vor uns. Ich zupfte Sam am Ärmel. »Ich kann nichts sehen.«
Sam betrachtete die Reihen von Leuten und meine schöne Aussicht auf ihre Schultern. »Geh nach vorn.« Er stieß mich an. »Ich warte hier.«
Ich zögerte – einige dieser Menschen hassten mich –, aber ich würde mich nicht von ihnen daran hindern lassen, meine Freundin zu sehen. Ich drückte Sams Hand, dann drängte ich mich durch die Menge, bevor ich etwas versäumte. Gerade rechtzeitig, um Micah zu sehen, eine der Geburtsassistentinnen, die das Laken über Lideas Beinen zurechtzog und – oje! Es würde wirklich aus ihr rauskommen.
Sarit trat neben mich. »Ich dachte, du könntest ein bisschen Gesellschaft gebrauchen.« Sie meinte Schutz, aber ich würde mich nicht beschweren.
»Wow.« Ich versuchte, nicht mit offenem Mund zu starren, als Lidea bei einer weiteren Wehe stöhnte. »Das kann kein schönes Gefühl sein.«
Irgendjemand funkelte mich wütend an, und Sarit kicherte.
Lidea grunzte, und ich sah – um eine Geburtsassistentin in einem weißen Kittel herumblickend – ihr Gesicht, das vor Konzentration in Falten
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