Nur eine Liebe
einen Kaffee in der Hand. Er hielt mir den Pappbecher hin, und ich drückte ihn mir an die Brust und versuchte, mich daran zu wärmen.
»Also.« Cris wandte sich an Sam. »Wie ich sehe, hast du sie gefunden.«
»Du hast nach mir gesucht?« Er hatte genau gewusst, wo ich war. Er war bereit gewesen mitzugehen. Warum war ich erst angeblich krank und dann vermisst? Was war aus dem ursprünglichen Plan geworden, alle glauben zu lassen, dass wir einen romantischen Ausflug machten?
»Du warst verschwunden.« Ich spürte Sams Finger im Rücken, als wolle er mich wieder an sich ziehen. »Wir haben in jener Nacht alle nach dir gesucht und in der nächsten auch. Cris und Armande sind jede Nacht bis spät mit mir unterwegs gewesen, aber wir konnten dich nicht finden.«
Jene Nacht? Die nächste Nacht? Jede Nacht? Wie viele Nächte waren es gewesen? Ich griff an die Rose in meinem Haar, aber sie fühlte sich noch genauso an wie in dem Moment, als ich sie dort hineingesteckt hatte: etwas brüchig, aber längst nicht so alt.
»Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht«, sagte Cris. »Sarit ist ein Wrack. Jemand sollte sie anrufen.«
Mein Kopf pochte so heftig, dass ich kaum denken konnte. Ich wollte einfach nur schlafen, aber der Tempel ragte hinter mir auf, tausendmal beängstigender als zuvor. Meurics Worte verfolgten mich noch immer. Die Seelen verfolgten mich noch immer.
Ich leckte mir die Lippen. »Wie lange war ich« – nicht dort drinnen , nicht solange Armande und Cris da waren – »verschwunden?«
»Eine Woche.« Sams Gesichtsausdruck war nüchtern, Falten liefen um seinen Mund und zwischen den Augen. Seine Haut war bleich, und er hatte dunkle Ringe unter den blutunterlaufenen Augen. »Du warst eine Woche verschwunden.«
Der Becher glitt mir aus den Händen und fiel auf die Pflastersteine. Der Deckel sprang ab, und Kaffee spritzte über Schuhe und Hosensäume, aber ich konnte die Energie nicht aufbringen, mich zu entschuldigen, geschweige denn, der Flüssigkeit auszuweichen, die sich überall verteilte.
Kaffee sickerte durch die Risse in den Steinen wie Fäulnis, die aus Meurics Auge tröpfelte …
Sam fing mich auf, als meine Knie unter mir nachgaben. »Jetzt ist alles gut. Ich werde dich nach Hause bringen.«
KAPITEL 18
Schlaf
Ich schaffte es bis zur Südallee, bevor meine Beine den Dienst versagten, daher trug Sam mich. Sicher in seinen Armen, schloss ich die Augen und lauschte auf die Melodie der Stimmen.
»Wo war sie?«, fragte Cris. »Ich hatte gedacht, dass du sie heute Morgen gefunden haben musst und ihr beide zum Marktplatz gekommen wäret …«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Sam. Ich konnte nicht sagen, ob er sich daran erinnerte, wo ich gewesen war. »Ich wünschte, Deborl hätte sich um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert.«
Armande schnaubte. »Du weißt, dass er das nicht kann. Genauso wie ich backe, wie du Musik machst und Cris gärtnert, muss Deborl sich in die Angelegenheiten anderer Leute mischen. Es ist das Einzige, was er kann.«
Das Gesicht in Sams Mantel gedrückt brachte ich ein Lächeln zustande.
Sam hielt mich noch fester. »Jemand hat Lidea erzählt, dass Ana verschwunden sei. Sie hat jede Stunde angerufen, weil sie Angst hatte, dass Ana entführt worden sei und dass sie sich als Nächstes Anid holen würden. Sie weigert sich, das Haus zu verlassen, und sie hat Stef alle möglichen Überwachungssysteme im Kinderzimmer installieren lassen. Nicht dass es viel bringen würde, denn Lidea schläft neben seiner Wiege, um ihn zu bewachen.«
Schuld bohrte sich mir ins Herz. Eine Woche. Es war mir nicht wie eine Woche vorgekommen. Meine Rose …
Ich dämmerte immer wieder weg, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie mich die Treppe am Eingang hinauf- und durch den Salon trugen.
Eine Tasse wurde mir an den Mund gedrückt, und Wasser tröpfelte hinein. Ich schluckte zuerst zögernd, aber als meine Kehle sich an die Bewegung gewöhnte, stürzte ich das Wasser hinunter, bis mir der Magen schmerzte.
Eingemummt in Decken auf dem Sofa war ich wirklich in Sicherheit.
Sam brachte die beiden anderen zur Tür und bedankte sich bei ihnen. Es mochte mein Zustand gewesen sein oder die verschwommene Sicht, doch während Sam mit Armande unbefangen zu sein schien, veränderte sich seine Haltung, als er sich Cris zuwandte. Hängende Schultern, dem anderen Jungen zugeneigt. Cris stand da wie sein Spiegelbild.
»Du hättest nicht so viel zu tun brauchen«, sagte Sam. »Aber ich
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