Nur eine Liebe
Lippen auf meinen Knöcheln.
Als jeder Finger geküsst war, drehte er meine Hand um und legte sie sich an die Wange. »Du bist ein Teil von mir, ein Teil meiner Existenz.« Kiefermuskeln bewegten sich unter meinen Fingern. »Ohne dich war alles blasser.«
Wenn er derjenige gewesen wäre, der verschwunden war, wäre ich auf ihn gekrochen, um ihn daran zu hindern, jemals wieder fortzugehen. Selbst in meiner Fantasie konnte ich ihn unter mir spüren, Knochen und Muskeln und die feste Gegenwart von ihm . In meiner Fantasie lag er unter mir und ging niemals fort.
Ich war gleichzeitig erleichtert und enttäuscht darüber, dass er nicht denselben Impuls hatte. Oder er konnte sich besser beherrschen.
Seufzend ließ er meine Hand los. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, dass du nicht verschwinden wirst, wenn ich dich nicht festhalte.« Er schaute auf meine Finger, die jetzt auf meinem Knie lagen. Er machte Anstalten, wieder danach zu greifen, zögerte jedoch. Vielleicht wollte er ja doch auf mich kriechen. »Aber du bist gerade erst zurückgekommen, und es gibt so viele Dinge, die wir tun müssen, was bedeutet, dass alles, was ich will, warten muss. Und was immer dir zugestoßen ist, es muss schrecklich gewesen sein.«
Der Gestank von Meurics Nest, die Schwärze mit den Weinenden und Janans Stimme an meinem Ohr. Mein Atem kam wie ein Stottern heraus.
Sam schob mir das feuchte Haar hinters Ohr. »Kannst du es mir erzählen?«
»Es wäre besser, wenn du es nicht wüsstest«, flüsterte ich und hasste mich selbst für all die schrecklichen Dinge, die er meinetwegen gleich empfinden würde. »Aber es ist wichtig, dass du es trotzdem weißt.«
Er wartete ab.
»Zuerst musst du wissen, dass du für eine Weile genau wusstest, wo ich war. Du wolltest mit mir in den Tempel gehen.«
»Das ist nicht möglich.«
»Doch, das ist es. Ich hatte einen Schlüssel.« Aber jetzt war er weg. Hatte der Fremde ihn Deborl gegeben? Was würden sie damit machen? »Wir wollten zusammen hineingehen. Du hast darauf bestanden, und ich wollte nicht allein gehen. Aber Stef hat dich entdeckt, und ich musste allein hineingehen, bevor die Gelegenheit vorbei war. Es ist einfach so, dass Janan mit eurem Gedächtnis spielt. Ihr dürft bestimmte Dinge nicht wissen, daher vergesst ihr sie, und ihr hinterfragt Unstimmigkeiten nicht, weil keiner von euch sie bemerkt.«
»Das klingt verrückt«, flüsterte er. »Wir erinnern uns an alles, von unserem allerersten Leben an.«
»Das tut ihr nicht.« Ich berührte seine Hand. »Ihr erinnert euch nicht an alles. Und das ist nicht das Einzige.« Ich erzählte ihm, was Janan Seelen wie meiner antat.
KAPITEL 19
Verwandlung
Nachdem ich Sam alles erzählt hatte, was im Tempel geschehen war, hatte ich nicht mehr die Kraft, die Bücher zu übersetzen, obwohl ich gehofft hatte, es versuchen zu können.
Stattdessen fing ich wieder zu weinen an, und Sam wurde düster und distanziert, als er mich die Treppe hinunterführte. Der Abend war längst hereingebrochen, und der Salon wurde nur von einigen Lampen erhellt. Ich wickelte mich auf dem Sofa in Decken ein und lauschte auf Sams Schritte in der Küche. Schranktüren wurden geöffnet und geschlossen, kochendes Wasser zischte, und ein Löffel klirrte gegen Keramik, als er Honig in meinen Tee rührte.
Er stellte mir den Becher auf einen Beistelltisch und ging dann an den Flügel, wo er einige Saiten unter dem glänzenden Deckel aus Ahornholz stimmte und dann die Tonhöhe überprüfte. Immer wieder unterbrach er seine Arbeit, um zu spielen, und immer fragte er mich, ob ich einen Wunsch hätte, aber die meiste Zeit war ich damit zufrieden, ihm zuzusehen und zuzuhören.
Nokturne und Präludien lullten mich in einen Dämmerschlaf, und als ich erwachte, war der Morgen gekommen und hatte die Stadt mit einer feinen Schneeschicht bedeckt. Sam und ich zogen uns warm an und machten uns auf den Weg zum Rathaus zu meinem verspäteten monatlichen Fortschrittsbericht.
Wie zu erwarten befragte der Rat mich gnadenlos zu meiner angeblichen Krankheit und meinen Symptomen und drückte sein falsches Mitgefühl aus. Gut, Sines Sorge mochte echt gewesen sein. Sie bemühte sich, das Gespräch wieder auf meinen Fortschrittsbericht zu lenken, aber der allgemeine Verdacht war klar: Der Rat dachte, dass ich etwas im Schilde führte.
Und tat ich das nicht? Ich hatte Menehems Giftmischmaschine entdeckt, Janans schrecklichen Hunger und dass ihr Amtskollege im Tempel war und noch lebte. Ich
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