Nur eine Liebe
Wangen zu trocknen, ohne dass es viel ausgemacht hätte. Dunkle Flecken auf Sams Hemd verrieten meine Tränenfluten.
»Es ist unhöflich, Menschen mitten auf dem Marktplatz stehen zu lassen, wenn sie schreien.« Deborl heftete seinen wütenden Blick auf mich. »Besonders wenn ihr Betreuer derjenige ist, der ihr solche Angst macht.«
Ich rückte näher an Sam heran. »Da war jemand anders. Er hat mich gestoßen und stahl mir …«
Deborl legte den Kopf schräg. »Und stahl was?«
Den Schlüssel, aber ich durfte ja gar nichts von dem Schlüssel wissen. Niemand sollte in der Lage sein, sich daran zu erinnern, und was war, wenn der Fremde nicht nur neben Deborl stehen geblieben war, sondern ihm auch den Schlüssel gegeben hatte? Wenn ich Deborl beschuldigte, den Schlüssel zu haben, würde man danach fragen, wie ich in seinen Besitz gelangt war. Würde man fragen, was mit Meuric passiert war und warum ich einen so wichtigen Gegenstand versteckt hatte?
Ich sackte gegen Sam. »Der Mann hat mich gestoßen. Er war groß …« Jeder war groß im Vergleich zu mir. »Er hatte braunes Haar. Er ist direkt an dir vorbeigegangen.«
»Ich werde nach ihm Ausschau halten«, sagte Deborl, ging aber nicht weg.
»Es ist alles in Ordnung, Deborl.« Sam sprach ruhig, und nur die Art, wie sich sein Arm um mich anspannte, strafte seinen Tonfall Lügen. »Danke, dass du dir Sorgen gemacht hast.«
Deborl schaute zwischen uns hin und her und kratzte sich am Kinn, wo rote Linien Schnitte von der Rasur anzeigten. »Ich hoffe, du hast nicht zugelassen, dass sie schwer verletzt wurde. Schließlich vertraut der Rat dir ihre Fürsorge an.« Seine Augen wurden schmal, als er lächelte. »Weißt du, die Hälfte der Bevölkerung denkt, sie sei für das Tempeldunkel verantwortlich, und die andere Hälfte ist nicht davon überzeugt, dass sie es nicht ist. Und jetzt reden sie über den Vorfall mit den Sylphen.«
Sam ballte die Hände zu Fäusten und nahm die Schultern zurück, als wäre er bereit, Deborl zu schlagen. »Ana hat mehr als irgendjemand sonst dazu beigetragen, ein größeres Gemetzel während des Tempeldunkels zu verhindern. Und wo warst du in jener Nacht? Hast du dich im Bett umgedreht und bist wieder eingeschlafen?«
Ihr Streit zog allmählich neugierige Blicke auf sich. Cris kam mit energischen Schritten auf uns zu. Die meisten anderen gafften uns einfach nur an.
»Hört auf«, sagte ich. »Alle beide.« Es kam mir unmöglich vor, dass meine Stimme nicht zitterte. Ich presste die Knie zusammen, um mich aufrecht zu halten, aber es machte mich nur benommen.
Deborl feixte.
»Hallo, Cris«, sagte ich, als er hinter Deborl auftauchte. Mir tat alles weh, und ich war müde. Vielleicht konnte jemand anders verhindern, dass Sam und Deborl aneinandergerieten. Dann konnte ich mich auf einem schönen Stein zusammenrollen und ein Jahr lang schlafen.
Er nickte zur Begrüßung und tauschte einen fragenden Blick mit Sam. Etwas Schweres ging zwischen ihnen vor, obwohl ich den Ausdruck, der über ihre Mienen huschte, nicht deuten konnte.
»Ist das dein Plan, Sam? Die Leute dazu zu bringen, Mitleid mit Neuseelen zu empfinden, indem du eine tränenüberströmte Ana herumzeigst? Es wird nicht funktionieren. Es ist erbärmlich.« Deborl grinste höhnisch. »Die Leute werden Neuseelen niemals akzeptieren. Jeder weiß, dass du geblendet bist von« – er beäugte mich – »was immer ihr zwei zusammen tut. Widerlich.«
Sam legte den Arm noch fester um mich. »Hast du nichts Wichtiges zu tun?« Er funkelte Deborl an. »Vielleicht könntest du Anas Angreifer finden?«
Der Ratsherr bleckte die Zähne, als er lächelte. »Die kleine Ana hat neulich ihren Fortschrittsbericht verpasst, und du hast keinen neuen Termin angesetzt. Einige Ratsmitglieder fragen sich, ob sie wirklich ein Mitglied der Gemeinschaft sein will.«
Neulich?
»Ich habe euch doch gesagt, dass sie krank war …«
Sam hatte eine Entschuldigung für mich vorbringen müssen?
»Du hast bis zum Ende dieser Woche Zeit, um dich beim Rat zu melden.« Deborls wütender Blick war unverändert auf mich gerichtet. »Das ist in zwei Tagen. Sei nicht später als zur zehnten Stunde dort, oder dein Status als Dossams Schützling wird aufgehoben, und du wirst aus dem Reich verbannt werden.« Mit diesen Worten marschierte er in die sich zerstreuende Menge. Einige Leute klopften ihm auf den Rücken, erfreut über die Vorstellung, dass ich vielleicht hinausgeworfen werde.
Armande kam herbei,
Weitere Kostenlose Bücher