Nur eine Ohrfeige (German Edition)
daran zu haben. Aisha atmete auf, sie war unglaublich erleichtert, und für einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment empfand sie auch Reue. Wie am Morgen nach einer Abtreibung, so würde sie es später Anouk beschreiben, die nicken und sagen würde: Ja, ich weiß, was du meinst. Etwas, das nicht sein sollte, das du niemals wolltest, aber in diesem Moment fragst du dich, was geworden wäre wenn.
Hector sah ihr in die Augen. »Im Augenblick weiß ich gar nichts, außer dass ich mit dir zusammen sein will, dass ich dich liebe und dass du das Einzige in meinem Leben bist, dessen ich mir sicher bin. Ich war so dumm. Ich hab keine Ahnung, was zum Teufel mit mir los ist, aber ich weiß, dass ich dich nicht verlieren will.«
Das stundenlange Weinen hatte ihn erschöpft. Sein Gesicht war rot und aufgedunsen. Ausnahmsweise sah er so alt aus, wie er war.
Sie küsste seine nasse Augenbraue. »Ich geh jetzt kurz vor die Tür und hol uns was zu essen. Du gehst duschen, und wenn ich zurückkomme, reden wir, in Ordnung? Wir reden über alles, was du willst, über alles, was dir wichtig ist.«
Er nickte. »Halt mich nochmal fest, bevor du gehst«, flüsterte er.
Sie nahm ihn in die Arme, und er klammerte sich verzweifelt an sie, als wollte er sie nie mehr loslassen. Behutsam löste sie sich von ihm. »Ich bin gleich wieder da.«
Es tat gut, wieder auf der Straße zu sein, in der drückenden Hitze von Ubud, weg von Hector, der sie so sehr brauchte. In einem kleinen, gutbesuchten Café bestellte sie Nasi Goreng, setzte sich auf eine Kiste und blickte auf die Reisfelder jenseits der Straße. Übermorgen würde Vollmond sein, und jeder Grashalm, jeder Baum, jeder Ast und Zweig, jede Silhouette eines Hauses oder Tempelswürde in seinem silbernen Licht erstrahlen. Als sie aus dem Café eine amerikanisch klingende Stimme hörte, musste sie an Art denken und fing an zu träumen: Sie war zu ihm nach Montreal gekommen und fiel in seine Arme. Er würde sich von seiner Frau scheiden lassen und sie sich von Hector. Sie würde Französisch lernen, sie würden eine Praxis in der Stadt eröffnen und beide nur halbtags arbeiten. Sie würden lange Wochenenden in New York verbringen. Doch dann dachte sie an ihre Kinder und verscheuchte ihren verführerischen, aber leider unmöglichen Tagtraum. Sie holte das Essen und ging zurück ins Hotel.
Stundenlang lagen sie nebeneinander im Bett und redeten. Hector hatte sein Essen gierig verschlungen und dann angefangen zu erzählen. Zuerst sprach er von Hugo, dass er den kleinen Jungen auf keinen Fall hasste. Man könnte ein Kind nicht hassen, meinte er, und sie stimmte ihm zu. Er sprach von seiner Wut auf Rosie und Gary. Ihrem angeblichen Engagement für Active Parenting, einer vermeintlich aufgeklärten, auf Kinder ausgerichteten Erziehungsphilosophie, die Rosies Einstellung zur Mutterschaft untermauerte, stand er skeptisch gegenüber. Hugo sei einsam, erklärte Hector, und was er wirklich brauche, sei ein Bruder oder eine Schwester, Cousins, andere Kinder, die ihn in seine Schranken wiesen. Er verbringe viel zu viel Zeit mit Erwachsenen. Aber Gary sei zu egoistisch, um noch ein Kind zu bekommen. Aisha war seiner Meinung.
Sie ließ ihn reden. Ihr war nicht ganz klar, warum er die ganze Zeit von Rosie und Hugo sprach, aber offenbar hatte ihn die ganze Geschichte ziemlich durcheinandergebracht. Er sprach darüber, wie sehr er seine Vaterrolle liebte, aber dass er es hasste, Angst um seine Kinder zu haben, und dass er das Statusdenken verabscheute, das unter ihren Freunden und in ihrer Familie aufkam, sobald es darum ging, wie man seine Kinder großzog.
»Ich will, dass meine Kinder zu Fuß von der Schule nach Hause laufen können, ich will, dass sie auf der Straße spielen, ich willnicht, dass sie dauernd beschützt werden und sich vor der Welt fürchten.«
»Die Welt hat sich verändert«, warf Aisha ein, »sie ist gefährlicher geworden.«
»Nein«, erwiderte er, »die Welt hat sich nicht verändert – wir sind es, die sich verändert haben.« Er stellte klar, dass eine Privatschule für ihre Kinder nicht in Frage käme. In diesem Punkt waren sie seit Jahren uneins gewesen, und erst hatte sie gedacht, die Diskussion würde sich nun wiederholen, so wie jedes Mal, wenn beide versuchten, ihren Willen durchzusetzen, ohne zu einer Einigung zu kommen. Doch an diesem Abend gelang es ihm, sie zu überzeugen. Er liebte seine Kinder, aber Privatschulen seien nun mal elitär und damit wollte er nichts
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