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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
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gleichzeitig die Hand weg. »Ich geh sie nächste Woche besuchen, am Sonntag. Mit der ganzen Familie.«
    Rosie starrte an ihr vorbei und überprüfte im Fenster ihr Spiegelbild. »Oh Gott, ich seh ja schrecklich aus.«
    »Unsinn.« Aisha meinte es ernst. Rosie konnte gar nicht schrecklich aussehen. Im Gegenteil. Mit ihrem Elfengesicht, den bezaubernden blassblauen Augen, ihrer fast durchsichtigen Haut war sie perfekt.
    »Oh doch.« Rosies Lippen bebten, bis sie sich zusammenriss und kurz Luft holte. »Ich werde jetzt nicht anfangen, vor dir zu weinen«, erklärte sie.
    Dass sie sich ihr so entzog, war schlimmer, als wenn sie vor Kummer und Enttäuschung zusammengebrochen wäre.
    »Es tut mir leid, Liebes. Ich muss das für Hector tun.«
    Rosie sah sie strafend an.
    »Ach, wirklich?«
    »Ja.«
    »Weißt du, was ich nach der Verhandlung zu Hugo gesagt habe?« Rosie hatte die Fäuste geballt. »Ich hab ihm erzählt, die Richterin hätte den bösen Mann, der ihn geschlagen hat, ins Gefängnis gesteckt. Und dass sie gesagt hätte, Menschen, die Kindern wehtun, seien Abschaum.« Sie wurde lauter. »Allerübelster Abschaum.« Eine dicke Frau am Nebentisch, mit Doppelkinn und oberlehrerhaftem Blick, schüttelte missbilligend ihren sorgfältig frisierten Bubikopf. »Wie bringst du es nur fertig, mit diesem Schwein zu reden?«
    Aisha wünschte, sie hätte Anouks Rat befolgt. Sie hatte Rosie schon früher wütend erlebt. Wie eine Kobra stieß sie plötzlich zu. Aber Rosie war nie wütend auf
sie
gewesen, nie hatte
sie
selbst ihren unerbittlichen Groll zu spüren bekommen.
    Sie konnte sich nur wiederholen, eine andere Entschuldigung hatte sie nicht vorzuweisen. »Ich muss das für Hector tun.«
    »Hector war schon immer ein Arschloch.«
    Aisha wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte keine Lust, sich das anzuhören.
    »Er ist noch schlimmer als Harry. Er ist ein arrogantes Stück Scheiße. Und ein Langweiler.« Rosie weinte jetzt, aber Aisha war überzeugt, dass sie ihren Ausbruch auch genoss. »Er hat Shamira und Bilal gegen uns aufgehetzt – er hat alle gegen uns aufgehetzt, sogar dich.« Die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Aisha wollte ihre Hand berühren, aber Rosie zog sie blitzartig weg.
    »Es tut mir leid, Rosie.« Sie wollte Hector in Schutz nehmen, ihr sagen, dass ihr Mann sie nicht hasste, dass er ihr und Gary und Hugo nichts Böses wünschte. Aber irgendetwas hinderte sie daran. Stimmte das denn? Hector war arrogant, er war eifersüchtig auf ihre Freundschaft, war es immer schon gewesen. Was setzte sie aufs Spiel? Sie streckte nochmal die Hand aus. Ihre gemeinsame Zeit, ihre Vergangenheit, das durfte sie nicht verlieren.
    »Es tut mir wirklich leid. Bitte glaub mir.« Diesmal zog Rosie die Hand nicht weg. Sie war kalt. Aisha drückte sie fest.
    »Geh nicht hin.« Rosie hatte sich wieder beruhigt, ihre Stimmeklang nicht mehr böse, und der Hass war aus ihrem Gesicht gewichen. »Wenn du zu ihm gehst, verzeih ich dir das nie.«
    Sie nahm die Welt um sie herum kaum noch wahr, nur Rosies eindringlichen Blick. Hätte sie bloß am Abend zuvor nicht die Schlaftablette genommen. Alles war verschwommen, in dichten, erstickenden Nebel gehüllt.
    »Ich hab es Hector versprochen.«
    Rosie schlug Aishas Hand weg. »Das ist mir scheißegal«, brüllte sie.
    Spätestens jetzt drehten sich alle nach ihnen um. Aisha schaute in ihre fast leere Kaffeetasse. Sie fühlte sich nackt, bloßgestellt. Als sie aufblickte, traf sie Rosies zorniger Blick. Aisha musste sich entscheiden. Alles, was sie wollte, war, für ihre Freundin da zu sein, sie wollte, dass alles wieder so war wie früher. Sie hatte es in der Hand. Sie musste nur zurücknehmen, was sie Hector versprochen hatte. Seit Asien wusste sie, dass sie mit ihm einer ungewissen Zukunft entgegensah. Rosie, ihre Freundschaften, all das verkörperte ihr Leben und ihre Jugend, es gehörte zu ihr, machte sie zu der, die sie war. Sie könnte Hector verraten und sich für ein anderes Leben entscheiden. Der Gedanke war aufregend. Ein neues Leben in einer anderen Welt, mit Art, in einem anderen Land, einer anderen Stadt, einem anderen Zuhause und einer anderen Arbeit. Sie wäre ein anderer Mensch, mit einer anderen Geschichte und einer anderen Zukunft. Eine neue Aisha. Es lag in ihrer Macht, Rosie gab ihr die Gelegenheit dazu. Sie musste die Worte nur aussprechen. Und genau das würde sie tun. Ganz bestimmt.
    Ein paar Tische weiter hörte sie ein kleines Mädchen ihren Vater fragen:

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