Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Hälfte.«
Andrew saß mit einem Bier an der Bar, als Harry den Pub betrat. Er war erst vor kurzem renoviert worden, aber die neuen Besitzer hatten so viel wie möglich von der Originalausstattung behalten, und alles Neue war an das spätviktorianische Gebäude und die Einrichtung angepasst. Harry sah sich anerkennend um. Vielleicht konnte er Sandi mal hierher zum Essen ausführen. Er schlug Andrew auf die Schulter. Der Anwalt schwitzte in seiner Anzugjacke und der korrekt gebundenen Krawatte. Er war überraschend dünn, wie eine Stabheuschrecke, und so groß, dass er Harry im Sitzen geradewegs in die Augen schauen konnte. Die beiden Männer umarmten sich, und Andrew rief nach dem Barmann und bestellte noch ein Bier. Harry machte eine ablehnende Geste, aber Andrew ignorierte ihn.
»Uno, per favore.«
»Ich muss den ganzen Nachmittag fahren, Mann.«
»Wir essen doch gleich, und danach trinken wir einen Kaffee. Mach dir keine Sorgen.« Andrew beäugte ihn misstrauisch. »Sag bloß, du lässt dich jetzt auch von der allgemeinen Bevormundung anstecken.«
»Wovon zum Teufel redest du?«
Harry setzte sich auf den Barhocker neben Andrew und betrachtete die Speisekarte, die auf eine Tafel gekritzelt war.
»Ist das Essen gut?«
»Das Essen ist hervorragend.«
Und das war es. Harry hatte gegrillte Calamari bestellt, zumal er es nachmittags nicht zum Sport schaffen würde. Andrew musste sich über so etwas offensichtlich keine Gedanken machen. Er bestellte einen Burger mit Pommes und eine Flasche Wein, die er fast allein trank. Harry staunte darüber, dass er egal was und egal wie viel in sich hineinstopfen konnte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen. Wahrscheinlich lag es daran, dass er nie still sitzen konnte. Andrew war immer so gewesen, schon als sie noch Nachbarn in Collingwood waren. In der Schule hatte eine sadistische Lehrerin Tag für Tag versucht, die Unruhe aus ihm herauszuprügeln. Wannimmer sie ihn nervös herumzappeln sah, musste er sich vor die Klasse stellen, und sobald er sich bewegte, schlug sie ihm mit dem Metermaß gegen die Waden. Andrew zuckte zusammen, verzog das Gesicht und versuchte eine Weile, so still zu stehen wie nur irgend möglich. Es gelang ihm nicht. Nach dem Unterricht waren seine Beine rotblau geprügelt. Die Sache fand ein Ende, als Andrews Mutter bei einem Elternabend auf die Lehrerin losging, sie an den Haaren packte und ihr eine Ohrfeige verpasste. Andrew flog vor allem deswegen nicht von der Schule, weil er der intelligenteste und cleverste Schüler war und sie darauf angewiesen waren, dass er den staatlichen Mathematik- und Englischwettbewerb gewann, um den erschreckenden Erfolgsmangel bei den anderen Schülern auszugleichen. Andrew schien keinen wirklichen Groll gegen seine Lehrerin zu hegen. Diese Frau war ein Tier, dachte Harry, aber von ihrer Konsequenz und Kompromisslosigkeit konnten sich die heutigen Lehrer eine Scheibe abschneiden. Es musste einen Mittelweg geben. Damals wäre niemand auf die Idee gekommen, mit seinen Problemen zur Polizei oder zu einem Anwalt zu rennen. Andrews Mutter hatte sich entschuldigt, und die Lehrerin hatte – womöglich eher widerwillig – die Entschuldigung angenommen.
»Erinnerst du dich an Miss Ballingham?«
»Wen?«, fragte Andrew mit vollem Mund.
»Miss Ballingham, in der Vierten.«
»Jesus, diese Verrückte. Wahrscheinlich sitzt sie inzwischen in irgendeinem Hochsicherheitsgefängnis. Als Wächterin, meine ich.«
»So schlimm war sie auch nicht.«
Andrew schluckte einen Bissen hinunter und sah seinen Freund an. Er legte die Gabel hin und trank einen Schluck Wein.
»Worum geht’s hier,
Malaka
?«
Harry hörte das
Tok-tok-tok
seines Absatzes auf dem Fußboden.
»Die Leute werden denken, ich sei wie sie.«
Andrew guckte erst entsetzt, dann verärgert.
»Du bist keine Miss Ballingham.«
»Verdammt, natürlich bin ich keine Miss Ballingham«, fluchte Harry auf Griechisch.
Andrew wischte sich mit der Serviette Mund und Kinn ab, knüllte sie zu einer Kugel zusammen und ließ sie auf den Tisch fallen. Er griff nach einer Zigarette, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und rülpste laut.
»Ich bin satt. Kommen wir zur Sache.« Er schaukelte vor und zurück. »
Malaka
, ich kümmere mich darum. Du bist nicht wegen Körperverletzung vorbestraft, deine einzige Straftat hast du begangen, als du noch ein Kind warst, du bist ein guter Vater, ein guter Ehemann und ein guter Geschäftsmann. Man wird dich nicht hängen, nur weil du
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