Nur eine perfekte Affäre?
kam und den Flur hinuntersah, entdeckte er, dass die Tür zu Annabelles Zimmer offen stand. Bislang hatte er sich davon stets ferngehalten, aber die Tür war auch fast immer geschlossen gewesen. Heute jedoch zogen ihn die leuchtenden Farben, in denen das Mädchenzimmer gehalten war, geradezu magisch an. Als er näher kam, schien ihm eine rothaarige Puppe mit großen, blauen Augen und einem breiten Lächeln zuzuwinken. Er erkannte die Puppe wieder. Ihr Name war Patsy Pumpkin. Genau so eine wie diese hier hatte er Tess geschenkt.
Gegen besseres Wissen ging er weiter, bis er in dem Kinderzimmer von flauschigen Stofftieren, Bleistiftzeichnungen und dem süßen, himmlischen Duft der Kindheit umgeben war. Die Wände und die kleinen Möbel strahlten in Pink, Lila, Gelb und Neongrün um die Wette. Er nahm die Puppe von ihrem Platz auf dem Bett. Er betrachtete Patsy Pumpkin, und seine Erinnerungen kehrten zurück.
Tess, wie sie die Puppe an ihre Brust drückte. Tess, wie sie in einem Zimmer spielte, das Ähnlichkeit mit diesem hier hatte. Tess, die ohne einen Kuss von ihrem Vater einschlief. An wie vielen Abenden hatte er es verpasst, sie ins Bett zu bringen?
„Es tut mir leid, Schatz“, flüsterte er und schüttelte langsam den Kopf. Tränen, die er so lange unterdrückt hatte, stiegen ihm jetzt in die Augen. Bittere Emotionen, die er normalerweise gut unter Verschluss hielt, kamen jetzt an die Oberfläche. Sam hieß sie willkommen. Er verdiente diese Seelenqual. Er war ein schrecklicher Vater gewesen, der seine Tochter vernachlässigt hatte. „Ich werde mir das nie verzeihen, Tess. Niemals.“
„Sam?“
Carolines neugierige Stimme erschreckte ihn. Er blieb wie angewurzelt stehen und hielt die Puppe fest. Als Caroline ins Zimmer kam, konnte er sie nicht ansehen. „Ich bin niezuvor hier hineingegangen“, erklärte er weich. „Ich dachte, ich könnte es nicht verkraften.“
„Sam?“, sagte sie wieder. Er konnte ihre Besorgnis hören. „Was ist los?“
Er sank auf das Bett und starrte auf die Puppe in seinen Händen. „Ich hatte eine Tochter. Sie wäre jetzt in Annabelles Alter, wenn sie noch leben würde.“ Es überraschte ihn nicht, dass Caroline leise nach Luft schnappte. Eltern sollten ihre Kinder nicht begraben müssen.
„Oh, Sam.“ Sie setzte sich neben ihn. „Das tut mir so leid. Wie ist es passiert?“
„Bei einem Unfall mit dem Hubschrauber. Es war meine Schuld.“
„Oh.“
Wieder hörte er, wie sie den Atem anhielt. Die meisten Leute waren es nicht gewohnt, solche Bekenntnisse zu hören. Sam wusste, dass er Caroline durcheinanderbrachte. „Es war nicht so, wie du denkst. Ich habe den Hubschrauber an diesem Tag nicht geflogen. Aber ich hätte es tun sollen. Ich hätte da sein sollen, um meine Tochter zu ihren Großeltern zu fliegen. Die Familie meiner … Frau liebte Tess über alles. Es war ihr Geburtstag, und sie war ganz aufgeregt, ihre Großeltern besuchen zu können. Aber ich war zu beschäftigt. Wir hatten einen Notfall im Unternehmen, und ich musste den Ausflug verschieben. Tess war sehr traurig, und meine Frau hatte genug davon, dass ich meine Tochter andauernd enttäuschte. Das kann ich ihr auch nicht verübeln, denn ich hatte oft genug keine Zeit für Tess. Und dieses Mal ging es um ihre Geburtstagsfeier.“
„Lydia hatte mich damals schon verlassen. Aber Tess zuliebe machten wir auf heile Familie, so gut es ging. Lydia war so wütend, dass sie einen Piloten anheuerte und mit Tess in diesen Hubschrauber stieg. Dann verschlechterte sich das Wetter. Der Pilot war zu unerfahren. Bei diesemAbsturz sind alle ums Leben gekommen.“
Caroline berührte seinen Arm. „Es tut mir so leid, Sam. Aber es war nicht deine Schuld. Du bist nicht geflogen.“
Er konnte seinen Schmerz nicht verbergen. „Versuch nicht, es mir leichter zu machen, Caroline. Ich bin dafür verantwortlich. Ich habe meine Tochter unzählige Male vernachlässigt. Ich hätte an diesen Tag als Pilot zur Verfügung stehen müssen. Ich weiß, dass sie dann heute alle noch am Leben wären.“
„Das kannst du nicht mit Sicherheit wissen, Sam“, meinte sie weich.
Genau das hatte sein Bruder Grant auch behauptet. Aber er würde ihr sagen, was er Grant und jedem anderen auch darauf erwidert hatte, der versucht hatte, ihm seine Schuldgefühle auszureden. „Doch, ich weiß es, Caroline. Dieser Pilot beging Fehler, wie sie nur ein blutiger Anfänger macht. Wenn ich damals geflogen wäre, wäre es nie zu dem Absturz gekommen.
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