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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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Tamburins aufgebaut. Zusammen mit einem glatzköpfigen Saxophonisten improvisiert er ein Potpourri internationaler Evergreens. Jonas bleibt neben ihnen stehen. Die Musik ist sehr laut. Er nimmt Julia in den Arm, gemeinsam sehen sie hinab auf die Moldau.
    »Wie willst du mich rausholen?«, sagt er, gerade laut genug, dass sie ihn verstehen kann.
    »Du hast es gestern über eine Grenze geschafft. Du schaffst es auch über die nächste.«
    »Julia, das gestern war ein Kinderspiel. Die andere Grenze, die von den Tschechen zur Bundesrepublik, ist genauso dicht wie die Berliner Mauer. Die jagen mir eine Kugel in den Rücken. Das wäre Selbstmord.«
    Sie schweigen eine Weile und lauschen der Musik. Jonas nimmt den Faden wieder auf. Doch bevor er ein Wort sagt, wendet er seinen Kopf zum jenseitigen Moldauufer. Dort weht eine riesige US-Flagge über einem weißen Gebäude neben einem Park.
    »Warum holst
du
mich nicht raus? Mit einem Diplomatenauto von deiner Ami-Botschaft.«
    »Jonas, ich habe keinen Diplomatenstatus. Und sie lassen mich nicht mehr nach Ost-Berlin.«
    »Aber Marc.«
    »Ausgeschlossen. Der ist ein absolut gradliniger Mann. Er ist Sicherheitschef an unserer Botschaft in Ost-Berlin. Und er ist Schwarzer. Nie würde er so etwas machen. No, never.«
    Sie gehen ein Stück weiter, die Musik ist zu laut.
    »Und ich hatte alle Hoffnungen auf ein Diplomatenauto gesetzt.«
    »Vergiss es, Jonas. Damit sind vor etlichen Jahren zu viele aufgeflogen. Das macht heute keiner mehr. Kein Mitarbeiter der US-Botschaft würde solch ein Risiko eingehen.«
    »Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als unser Baby schwarz anzustreichen.«
    »Jonas, bitte, mach nicht so geschmacklose Witze. Ich meine es sehr ernst mit dir. Nein, mit uns! Willst du das noch?«
    »Wäre ich sonst hier?«
    »Ich helfe dir. Aber du musst auch etwas tun. Gemeinsam holen wir dich raus.«
    »Dann beschaff mir wenigstens einen Diplomatenpass. Dann trage ich das Risiko an der Grenze allein.«
    »Dazu müsste ich jemanden kennen, der seinen Diplomatenpass dafür hergibt. Und er müsste dir zum Verwechseln ähnlich sehen. Aber unsere Diplomaten wollen keinen Trouble mit der Stasi oder dem KGB. Die komplette Botschaft ist vom CIA durchsetzt. Versteh das bitte. Die würden sogar die eigenen Leute verpfeifen, um keinen Ärger zu bekommen.«
    »Für den CIA wäre es eine ehrenhafte Aufgabe, mich mit falschen Papieren rauszuschmuggeln.«
    »Forget it.«
    »Hast du eine bessere Idee?«
    »Bist du schon einmal geflogen?«
    »Ja, vor etlichen Jahren aus dem Internat. Weil ich mich nicht zu einem sozialistischen Jugendlichen erziehen lassen wollte.«
    »Quatschkopf! Ich meine mit einem Sportflugzeug oder etwas Ähnlichem.«
    »In diesen Genuss kommen bei uns nur systemtreue Menschen, die sich schon in jungen Jahren als Kampfflieger der Volksarmee verpflichten. Keine Chance, da lassen sie einen Typen wie mich nie hin.«
    »Glaub mir, es ist kinderleicht, einen Drachen fliegen zu lernen.«
    »Einen Drachen? Ich kenne nur Feuer spuckende.«
    »Ein Sportdrachen ist ein einfach gebauter Gleiter aus Alurohr und Segeltuch.«
    »Darüber habe ich schon mal etwas gelesen, in der sowjetischen Zeitschrift >Sputnik<. Aber seit Gorbatschow in Moskau regiert, ist in der DDR auch die Sowjetpresse verboten. Ich lebe im Land der Ahnungslosen.«
    »Die Hochhäuser in der Leipziger Straße in Ost-Berlin sind sechzig Meter hoch und stehen nur 250 Meter von der Mauer entfernt. Das ergibt einen Gleitwinkel von eins zu vier. Das schafft selbst der schlechteste Drachenflieger.«
    »Woher weißt du solche Details?«
    »Ich kenne mich ein wenig in der Szene aus. Marc war früher bei der Airforce. Da sind sie in der Freizeit Drachen geflogen. Marc ist ein richtiger Profi, hat selbst zwei Drachen gebaut und kann exzellent fliegen. Das ist wirklich leicht zu lernen. Sogar ich habe es probiert.«
    »Fliegt Marc heute noch?«
    »Nein. Er hat seine beiden Drachen verkauft, weil es in Berlin offiziell verboten ist.«
    »Julia, ich habe davon keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, wie so ein Ding aussieht.«
    »Wenn du dich doch mit der Idee anfreunden kannst, werde ich dir detaillierte Baupläne beschaffen. Das heißt, ich habe sie schon, wir müssen sie nur rüberschmuggeln.«
    Sie spazieren langsam weiter zum anderen Moldauufer. Jedes Mal, bevor sie weiterreden, vergewissern sie sich, dass niemand in ihrer unmittelbaren Nähe ist.
    «Julia, du darfst nicht mehr nach Ost-Berlin. Willst du mir die

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