Nur für einen Sommer: Sommerträume (German Edition)
dann wieder distanziert. Sein Privatleben sondert er vollkommen ab, so dass ich noch keinen Weg dahin gefunden habe. Wenn ich ihn nach seiner Familie frage, lächelt er nur und wechselt das Thema oder sieht mich mit einem dieser eindringlichen Blicke an und sagt nichts. In jedem Fall hält er den Schleier des Geheimnisses um sein Privatleben.
Vielleicht ist er der leistungsfähigste Mann, den ich je kennen gelernt habe. Bei ihm gibt es keine Zeitverschwendung, keine unnützen Bewegungen und, was mich ganz besonders ärgert, keine Fehler, wenn es darum geht, ein Lagerfeuer zu entzünden oder ein Essen zu kochen - so wie es hier ist. Und doch ist er zufrieden damit, stundenlang absolut nichts zu tun.
Er ist penibel. Der Lagerplatz sieht aus, als seien wir nicht länger als eine halbe Stunde hier. Andererseits rasiert er sich kaum. Doch irgendwie sehen die Stoppeln bei ihm so natürlich aus, dass ich mich manchmal bei der Frage ertappe, ob er nicht immer welche gehabt hat.
Bisher konnte ich die Menschen, mit denen ich beruflich zu tun habe, immer in irgendeine Kategorie einordnen. Nicht so bei Hunter. Ich finde einfach keine passende Schublade für ihn.
Heute Morgen hat er bei einer Tasse Kaffee ein Comic-Heft gelesen. Darauf angesprochen, antwortete er, er respektiere jede Form von Literatur. Ich glaube ihm.
Er ist der komplexeste, komplizierteste, faszinierendste Mann, der mir je begegnet ist. Und doch muss ich einen Weg finden, die Anziehung zu kontrollieren, die er auf mich ausübt, sogar die passende Bezeichnung dafür finden. Ist es körperlich? Körperlich ist Hunter unwiderstehlich. Ist es intellektuell? Sein Verstand macht so merkwürdige Drehungen und Wendungen, dass es manchmal meine gesamte Anstrengung erfordert, ihm zu folgen. Es ist eine Herausforderung, sicher, aber bei ihm habe ich das unbequeme Empfinden, mitten in einem stummen Schachspiel gefangen zu sein und schon die Dame verloren zu haben.
Seit dem ersten Tag, als wir den Canyon hochgeklettert sind, hat er mich nicht berührt. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, weiß noch genau, wie die Luft in diesem Augenblick gerochen hat. Es ist lächerlich, übertrieben romantisch und absolut wahr.
Jede Nacht schlafen wir im selben Zelt, so nah, dass ich glaube, seinen Atem zu spüren. Jeden Morgen wache ich allein auf. Ich sollte dankbar sein, dass er nicht alles noch schwieriger macht, als es schon ist, und doch ertappe ich mich dabei, wie ich darauf warte, von ihm gehalten zu werden.
Zweimal bin ich mitten in der Nacht aufgewacht, voller Sehnsucht und hätte mich beinahe zu ihm umgedreht. Jetzt frage ich mich, was geschehen würde, wenn ich es täte. Wenn ich an Zauberbann und die Kräfte glaubte, von denen Hunter schreibt, müsste ich glauben, einer läge auf mir. Noch nie hat mich jemand so begehren lassen, so viel fühlen lassen. Mich solche Angst empfinden lassen.
Manchmal schrieb Lee in ihr Tagebuch über die Landschaft und ihre Gefühle darüber. Manchmal schilderte sie den Tagesablauf. Doch meistens – eigentlich immer mehr – schrieb sie über Hunter.
Obwohl er geschickt persönlichen Fragen auswich, hatte Lee Informationen sammeln können. Schon jetzt, kaum nach der Hälfte der Zeit, hatte sie genug für einen soliden, erfolgreichen Artikel – mehr, das wusste sie, als sie überhaupt erwartet hatte.
„Wieso sollte irgendein Fisch, der etwas auf sich hält, sich von soetwas täuschen lassen?“ Hunter und Lee standen am Bach, und sie spielte mit der kleinen Gummifliege, die er ihr als Köder an der Angel befestigt hatte.
„Kurzsichtigkeit“, gab Hunter zurück und suchte sich seinen eigenen Köder aus. „Fische sind, wie allgemein bekannt ist, kurzsichtig.“
„Ich glaube dir nicht.“ Unbeholfen warf sie die Leine aus. „Aber dieses Mal werde ich einen fangen.“
„Dazu musst du deine Fliege erst einmal ins Wasser bekommen.“ Er warf einen belustigten Blick auf ihre Leine, die sich am Ufer zu einem Knäuel verwirrt hatte, bevor er geschickt seine eigene auswarf.
Er würde ihr nicht einmal Hilfe anbieten. Nach einer Woche in seiner Gesellschaft hatte Lee gelernt, es nicht zu erwarten. Es war nicht einfach und es dauerte eine Zeit, aber kniend entwirrte Lee des Knäuel, bis sie bereit für einen neuen Versuch war. Sie warf Hunter einen stolzen Blick zu, doch der schien sich ganz auf seine Angel zu konzentrieren, ohne ihren Fortschritt zu bemerken. Tatsächlich aber sah er alles, was um
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