Nur für einen Sommer: Sommerträume (German Edition)
Umarmungen her zu urteilen, war es offensichtlich, dass sich viele der Schriftsteller und Möchtegernschriftsteller kannten. Es herrschte eine lockere Atmosphäre, das Gefühl, unter Gleichen zu sein. Über allem lag erwartungsvolle Spannung.
Und doch, mehr als einer der Gäste stand in der lärmenden Eingangshalle wie ein in einem Schiffswrack verlorenes Kind, klammerte sich an einen Ordner oder eine Aktentasche, als wäre es eine Rettungsweste und starrte gequält oder einfach nur verwirrt vor sich hin. Auch wenn sie selbst nach außen hin ruhig und sicher wirkte, als sie ihren Teilnehmerausweis entgegennahm, konnte Lee dieses Empfinden gut nachvollziehen.
Sie konzentrierte sich auf den Grund ihres Hierseins und überflog zuerst das Programm. Mit einem kleinen Lächeln unterstrich sie: GESTALTUNG VON HORROR DURCH ATMOSPHÄRE UND EMOTIONEN. REDNER WIRD NOCH BEKANNTGEGEBEN.
Volltreffer, dachte Lee. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass sie noch drei Stunden Zeit hatte bis zu Browns Vortrag. Da sie nichts dem Zufall überließ, holte sie ihr Notizbuch hervor und überflog die notierten Fragen, die sie Brown stellen wollte. Mit einem Ohr fing sie dabei amüsante Gesprächsfetzen der umherschlendernden Teilnehmer auf.
„Wenn ich wieder abgelehnt werde, stecke ich meinen Kopf in den Ofen.“
„Du hast einen Elektrikofen, Judy.“
„Es ist der Gedanke, der zählt.“
„Und als mir heute Morgen das Frühstück gebracht wurde, lag unter meinem Teller ein Manuskript von fünfhundert Seiten. Ich habe vollkommen den Appetit verloren.“
„Das ist noch gar nichts. Ich habe letztens eins ins Büro bekommen, das in Schönschrift abgefasst war. Hundertfünfzigtausend Wörter in gestochener Schönschrift.“
Verleger, dachte Lee. Denen könnte sie auch einiges über Unterwürfigkeit erzählen, mit der häufig Leute glaubten, bei CELEBRITY unterzukommen.
„Er meinte, sein Verleger habe sein erstes Kapitel in Stücke gehauen. Bevor er es neu schreibt, muss er erst einmal Trauerarbeit leisten.“
„Ich muss immer Trauerarbeit leisten, bevor ich etwas neu schreiben muss. Nach jeder Zurückweisung überlege ich immer ernsthaft, ob ich nicht mit Körbeflechten meinen Unterhalt verdienen soll.“
„Hast du gehört, Jeffries ist wieder hier, um mit diesem Manuskript über die Jungfrau mit Höhenangst und Telekinese hausieren zu gehen? Ich verstehe einfach nicht, warum er sie nicht einen ruhigen Tod sterben lässt. Wann erscheint dein nächster Mord?“
„Im August. Es ist Gift.“
„Darling, das ist keine Art, über deine Arbeit zu reden.“
Lee konnte eine Vielfalt von Sprachstilen ausmachen, manche gedämpft, manche blasiert, manche pompös. Von einer ebensolchen Reichweite waren die Gesten und die Gesprächsthemen. Verblüfft beobachtete sie einen Mann, der theatralisch in einem langen, schwarzen Cape vorbeischwebte.
Ganz eindeutig ein skurriles Völkchen, dachte Lee, entwickelte aber sogleich Sympathie für sie. Sicher, sie reservierte ihre Talente für Artikel und Biographien, aber im Grunde ihres Herzens war sie auch eine Schriftstellerin. Ihre Stellung bei demMagazin hatte sie sich hart erkämpft, und sie hatte sich ihre Welt darumherum erbaut. Bei all ihrem Ehrgeiz – ihre Angst vor Ablehnung war groß. Darum blieb ihr eigenes Manuskript auch unvollendet und verstaubte in der Schublade. Der Zeitungsverlag sicherte ihr Ansehen und die Möglichkeit auf Beförderung, das feste Einkommen, das Dach über dem Kopf, die Kleider am Leib und das Essen auf dem Tisch.
Wenn es nicht so wichtig für sie wäre, allen zu beweisen, dass sie ihr Leben und ihre Karriere aus eigener Kraft meistern konnte, hätte sie vielleicht die ersten Kapitel ihres Manuskripts schon an einen Verlag geschickt. Aber … Lee schüttelte den Kopf und beobachtete die hereinströmenden Menschen. Alle Typen, alle Größen, alle Altersstufen. Die Kleidung variierte von korrekten Anzügen über Jeans und schrille Kaftane und Kittel. Lee fragte sich, ob sie sonst schon irgendwo eine solche Vielfalt gesehen hatte. Gedankenverloren starrte sie auf das unfertige Manuskript, das sie in ihren Aktenkoffer gelegt hatte. Nur zur Tarnung, erinnerte sie sich selbst. Das war alles.
Nein, sie glaubte nicht daran, dass sie das Zeug zu einer großen Schriftstellerin hatte. Aber sie wusste eins: Das Talent für hervorragenden Journalismus hatte sie. Und nie, nie würde sie sich mit dem zweiten Rang abfinden.
Und doch, wenn sie schon einmal hier war,
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