Nur für Schokolade
klären sollen, ob Leszek nun zurechnungsfähig ist oder nicht und warum er ständig seine Aussagen ändert und widerruft.
Einige Psychiater behaupten, daß die Neigung zum
Phantasieren eine der Ursachen für die Benachteiligung in seinem Leben ist. Andere wiederum sind der Meinung, daß er intelligent ist und bei allem was er sagt oder tut, äußerst raffiniert vorgeht.
Leszek Pekalski macht sich Sorgen um sein Leben, doch ist ihm andererseits klar, daß Polen keine Todesstrafe verhängt. Er befindet sich zur Zeit der Verhandlung in Zelle 53 des Gefängnisses in Slupsk in Nordpolen. Seine Zellengenossen werden sehr sorgfältig ausgewählt, es müssen ruhige
Mitgefangene sein und ihre Verbrechen dürfen nichts mit Sexualdelikten zu tun haben. Dank Pekalski haben sie mehr Zigaretten, Kaffee und Süßigkeiten als andere. Er teilt mit ihnen, was er bekommt. Den Rest versteckt er wie ein kleines Kind unter seinem Kopfkissen. In seiner Zelle hat er ein Radio, 173
einen Kassettenrecorder und viele Kassetten. Er schreibt so gut wie nichts mehr seit seinem Geständnis. Manchmal löst er ein Kreuzworträtsel, ansonsten unterhält er sich mit seinen Zellengenossen. Bemerkenswert ist, daß er seit Prozeßbeginn viel gepflegter wirkt und auf sein Äußeres achtet.
Nach einigen Wochen verändert sich sein Verhalten in der Zelle grundlegend, vor allem, nachdem die Gefängnisleitung beschlossen hat, keine Mitgefangenen mehr zu ihm auf die Zelle zu verlegen. Man will, daß er die Zeit bis zum neuerlichen Prozeßbeginn allein verbringt.
Am Ende des letzten Prozeßtages vor der Unterbrechung bringt man Leszek Pekalski mit dem blauen Gefängniswagen, wie immer an das Seitenfenster gekettet, zurück in das Gefängnis. Dort angekommen, sieht er den Gefängnisdirektor, den er überfreundlich grüßt. Der Beamte, der ihn zu seiner Zelle führt, fragt ihn aus Spaß: »Na, Leszek, wird man dich nun hängen oder nicht?«
Leszek antwortet: »Ich habe niemandem etwas getan, warum soll man mich hängen?«
»Aber du hast doch vor dem Richter fast achtzig Morde gestanden?«
»Ja, weil er es hören wollte. Aber ich habe längst alle Geständnisse widerrufen und das Gericht glaubt mir. Ich meine schon, daß man mir glaubt, daß ich nichts getan habe.«
»Na, wir werden ja sehen.«
Mit dieser Antwort schließt der Beamte die schwere Eisentür von Zelle 53 auf. Leszek hört nicht mehr die Schlüssel, die sich hinter ihm laut im Schloß drehen, vielmehr ist er darauf bedacht, daß er seine Zelle vorfindet, wie er sie verlassen hat.
Jeden Tag das gleiche Ritual: nach Einschluß in seine Zelle überprüft Leszek akribisch genau, ob sich noch alles an seinem Platz befindet. Er weiß, daß die Beamten seine Zelle jeden Tag filzen, wenn er bei Gericht ist, und verärgert muß er feststellen, daß man ihm einzelne Gegenstände nach der Überprüfung auf 174
den Boden gelegt hat.
Nun wird er für lange Zeit die Zelle nicht mehr verlassen.
Die Beamten beobachten täglich durch den Spion an der Tür, was Leszek den ganzen Tag treibt. Außer der halben Stunde Hofgang, die man aus Sicherheitsgründen jeden Tag zu einer anderen Zeit abhält, sitzt der Gefangene in seiner Zelle 53.
Seitdem Roman nicht mehr bei ihm ist, hat er auch keinen Fernseher mehr, mit dem er sich die Zeit vertreiben könnte.
Gemeinschaftsfernsehen in einem großem Raum, wie es die anderen Gefangenen täglich ein paar Stunden tun können, ist ihm verweigert. Aus Sicherheitsgründen, sagen ihm die Beamten, doch Leszek traut sich ohnehin nicht ohne
Begleitung aus seiner Zelle. Und langweilig wird es ihm nicht: Zeitweise ist er mit seinem Körper beschäftigt, viele Stunden verbringt er mit Lesen und Kreuzworträtsel lösen. Staub-wischen, Betten machen, Toilette reinigen – das alles nimmt bei Leszek ebenfalls eine lange Zeit in Anspruch. Er will, daß alles blitzblank ist in der Zelle. In seiner Zelle.
Eine Sichtblende und ein zusätzliches dünnmaschiges Gitter machen es für ihn unmöglich, sich die Zeit am Fenster zu vertreiben – alle anderen Gefangenen unterhalten sich auf diese Weise, von Fenster zu Fenster. Und mit Leszek will ohnehin keiner reden. Wenn sie ihn verhöhnen und Drohgesänge auf ihn anstimmen, verschließt er sein Fenster und vergräbt seinen Kopf im Kissen. Er will es nicht hören, was ihm nach dem Willen der Mithäftlinge bevorsteht. Der Wärter, der die meiste Zeit auf dem Gang bei Leszeks Zelle Dienst hat, macht folgende Beobachtungen:
»Er sitzt
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