Nur Fuer Schokolade
unmißverständlich hält er die Tür auf.
»Kommen Sie wieder? Ich würde mich freuen«, ruft Leszek der Frau noch zu, und greift ganz gierig nach der Plastiktüte.
»Sicher!« Ihre Antwort meint sie ernst. Daß diese Unterredung so positiv, zumindest im journalistischen Sinne, ablaufen würde, damit hätte sie niemals gerechnet. Sie wittert die Story ihres Lebens. Und dabei hatten ihre Kollegen in der Redaktion noch gelacht, als man gerade sie auswählte, diesen Menschen zu durchleuchten. Jetzt, als sie die Redaktion betritt, will sich wiederum niemand mit ihr freuen.
Einzig ihr Vorgesetzter scheint sich brennend dafür zu interessieren, was sie mitgebracht haben mag – vom ersten Besuch bei einem Mann, den ganz Polen inzwischen für viele, ungezählte Mordtaten verantwortlich macht. »Darauf ist die Stimme von Leszek Pekalski?« fragt der Chefredakteur und deutet auf ihr Tonband.
»Ja! Ich hab’s geschafft – und er will mich wiedersehen! Ich bekomme so viele Interviews wie ich nur will, das hat er mir fest versprochen.« Triumphierend reißt sie die Arme nach oben, genießt ihren Erfolg. Die Kollegen staunen nicht schlecht, als sie den Kassettenrecorder einschaltet und Leszeks Stimme ertönt. Sehr deutlich kann man ihn verstehen. Er hat viel zu berichten.
Ihr Artikel erscheint in der nächsten Ausgabe des Blattes, und es scheint, als würde ganz Polen ihn lesen wollen. Niemals zuvor hat die Öffentlichkeit von Leszek selbst erfahren können, wer er ist und was er zu berichten hat. Viele Spekulationen sind über ihn im Umlauf, doch nun spricht er selbst. Und: er redet immer wieder mit der Reporterin, was wiederum dem Staatsanwalt gefällt. Denn er sieht eine weitere Möglichkeit, über Leszek Neues zu erfahren. Welche genauen Instruktionen sie vor den Besuchen in der Strafanstalt von der Staatsanwaltschaft bekommt, bleibt ihr Geheimnis und das der Staatsanwaltschaft.
Sicher ist, daß sie – relativ leicht und immer öfter – eine Besuchserlaubnis erhält. Doch Leszek agiert schlau – einerseits will er sie sehen und mit ihr reden, andererseits verweigert er es aber, über seine Taten zu sprechen.
Seine Ansprüche werden immer höher; er fordert immer mehr Schokolade. Auch die Journalistin wird dreister. Weil er nicht über die Taten redet, will sie wenigstens ein Bid von ihm machen. Als er – für sie überraschend – einwilligt, macht sie eine ganze Serie. Es gelingt ihr auch, den anwesenden Beamten für sich zu gewinnen. Ein Bild entsteht, auf dem Leszek »nur für Sie« posiert: die Hand in der Hose.
Roman fühlt sich nicht sehr wohl bei dem Gedanken, daß Leszek dieser Reporterin alles erzählen könnte. Was soll seine Arbeit dann noch wert sein? Vor jedem Besuch der Reporterin impft er deshalb Leszek ein, bei den Gesprächen nichts über seine Taten zu erwähnen. Und er wird ungeduldiger: Wenn Leszek nicht schreibt, erteilt er ihm Fernsehverbot – die härteste Strafe für Leszek. Immer wieder versucht der, die Strafe zu umgehen, indem er Roman Schokolade anbietet.
Davon hat Leszek nun genug. Doch Roman will keine Schokolade, er will so schnell wie möglich wieder frei sein, und das ist nur möglich, wenn Leszek sein Geständnis niedergeschrieben hat.
Auch die Staatsanwaltschaft bleibt nicht untätig. Man tut soviel man nur kann, will oder von den Ministerien genehmigt bekommt. Die Vielzahl der Fälle, in denen es genauer zu ermitteln gilt, treiben die Kosten ins Unermeßliche. 349 ungeklärte Fälle will man prüfen, allesamt Taten, die man dem festgenommenen Leszek zuordnen kann. Davon 240 Morde, 44 Vergewaltigungen und 61 Schicksale, die ungeklärt sind. Die Kosten der Ermittlungen sind bis zu diesem Zeitpunkt auf eine halbe Milliarde alter Zloty angewachsen. Eine immens hohe Summe für das arme Land Polen. Die Kosten der Polizei – wie etwa für Hubschraubereinsätze – sind darin noch gar nicht berücksichtigt.
Noch nie hat man in Polen so viel Geld in die Überführung eines einzelnen Verbrechers investiert. 2.181 Zeugen werden vernommen, zu jedem einzelnen ein Protokoll angefertigt.
Tausende sollen noch vernommen werden. Die Staatsanwaltschaft beschränkt sich auf die für sie gesicherten Taten und nicht auf Leszeks Geständnisse, denn längst hat man Leszek Pekalski kennengelernt. Sieht er eine Möglichkeit, die für ihn zum Vorteil werden kann, nutzt er sie schamlos aus, indem er einfach alles widerruft, was er einmal gestanden hat. So bleibt dem Staatsanwalt letztlich nur
Weitere Kostenlose Bücher