Nur Fuer Schokolade
Kind selbst gefunden haben, an dem Ort, an dem sie getötet wurde. Es war dieser Vater, der ein Kreuz mit einer Aufschrift errichtet hat, die einem stillen Schrei gleicht.
Obwohl der Beobachter schon mit vielen Verwandten von Opfern des Leszek Pekalski gesprochen hat, ist dieses Interview doch etwas Besonderes. Als sie zuvor das Kreuz besichtigten, standen allen Beteiligten die Tränen in den Augen. Was muß ein Vater, was die Mutter fühlen, wenn sie ihr Kind, blutüberströmt, kaum mehr zu erkennen, am Boden liegen sehen? Welcher Schmerz kann größer sein auf dieser Welt? Wie können Eltern, die ein Kind auf solch unfaßbare, grausame, niederträchtige Art verlieren, weiterleben? Was fühlen sie – fühlen sie noch, können sie noch fühlen? Oder gleicht ihr Inneres einer leeren Wüste – einer Wüste, die ihren Sand immer weiter in einst blühende Gebiete treibt? Wie oft schrecken sie hoch in der Nacht, im Glauben, gerade ihre Tochter schreien gehört zu haben? War da nicht ein Hilferuf?
Hat sie nicht eben gejammert? Ist sie vielleicht gar nicht …tot?
Sie muß leben! Sie ist doch ein Kind! Sie hat doch noch so viel vor sich, weiß doch gar nicht, wie vielfältig das Leben sein kann … hat nur gespürt, wie sich die Bestie Leszek Pekalski an ihrem jungen Körper befriedigt. Hat die Hölle gespürt und in ihren Abgrund geblickt, obwohl sie nie einen Dämon beschworen hat.
Dieser Dämon beschwor sich selbst. Sein Altar war ganz Polen. Das Video der Gerichtsmedizin, von einer handver-lesenen Personengruppe gesehen und ausgewertet (u. a. von Ärzten und der Staatsanwaltschaft), zeigt, in welchem Zustand Sylwia R. gefunden wurde. Es deutet auch an, in welcher Raserei sich Leszek Pekalski befunden haben muß, als er tötete. Der Anblick des geschundenen Mädchens hinterläßt auch bei den untersuchenden Ärzten tiefe Spuren.
Es ist schon Abend, eine kleine Landstraße führt zum Haus der Eltern von Sylwia. Im Mondlicht sieht man das Kreuz, das der Vater für seine Tochter errichtet hat. Gespenstisch gibt der Mond das Bild auf einen Ort des Grauens frei. Der Kameramann, der mit dem Team zum Haus der Eltern unterwegs ist, versucht, diese Szene, die Atmosphäre einzufangen. Ihm wird klar, daß er in wenigen Minuten im Haus der Eltern sein wird.
Daß seine Arbeit sie zwingen wird, noch einmal das Grauenhafte zu duchleben, noch einmal die schrecklichste Zeit ihres Lebens zu erzählen – den Tag, an dem ihre Tochter starb.
In dem kleinen, bescheidenden Haus empfangen die Eltern die Besucher. Sie führen sie in ein mit Heiligenbildern versehenes Wohnzimmer. Beide sitzen auf der Couchgarnitur und warten geduldig auf Fragen. Der Vater, in brauner Kordhose und rotem Pullover, die Hände im Schoß übereinander-geschlagen, wirkt ruhiger als seine Frau Stefania, im Jeansrock und grünrot gemusterten Pullover. Mitte Fünfzig. Sie kann die Fragen nicht mehr erwarten und beginnt mit bewegten Worten zu erzählen, was sich damals zugetragen hatte.
»Als unser Kind nicht nach Hause kam, nachdem es Abend geworden war, machten wir uns auf die Suche. Wir suchten den Nachhauseweg von Sylwia ab, vor allem den Weg durch den Wald, den sie gehen mußte. Plötzlich haben wir eine rote Plastiktüte gefunden, ich habe sie sofort erkannt, es war die von Sylwia, die sie immer bei sich hatte. Das Gras um die Tüte war ganz zertreten und ich bekam Angst, daß etwas geschehen sein könnte. Dann habe ich meinen Mann gerufen. Als er an die Stelle kam, haben wir die Schleifspuren entdeckt, die direkt in den Wald führten. Mein Mann und ich sind den Spuren gefolgt, dann haben wir einen Schuh von Sylwia gefunden.«
Sie fängt an zu weinen, aber sie will weiter berichten, immer wieder reibt sie ihre derben Hände aneinander.
Die Mutter von Sylwia R.
»Ich habe es sofort gespürt, es war wie ein Schlag für mich, ich wußte, es war etwas Schreckliches passiert. Wir gingen weiter, immer tiefer in den Wald, immer der Spur nach. Immer wieder rief ich ihren Namen und hoffte, betete, daß sie noch am Leben ist. Ich rief immer wieder ihren Namen, sie sollte antworten, sie sollte mir zeigen, daß sie noch lebt. Immer mehr geriet ich in Panik und konnte die Situation nicht mehr ertragen.
Ich setzte mich auf den Boden und weinte und schlug mit den Händen auf den Boden, denn immer mehr kam der Gedanke in mir auf, meiner Sylwia ist etwas Furchtbares geschehen. Mein Mann verfolgte die Spur weiter und fand schließlich unser Kind nackt in diesem
Weitere Kostenlose Bücher