Nur mit dir sind wir eine Familie
eine Menge erledigen müssen. Zunächst einmal Sean anrufen natürlich, und dann ihre beiden besten Freundinnen Ellen und Quinn, die von der guten Neuigkeit noch gar nichts wussten. In den nächsten Tagen würde sie Besorgungen machen und das Zimmer für die Kleine vorbereiten müssen. Und sich vielleicht über das fremde Land informieren, in das sie bald reisen würden.
Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte Charlotte plötzlich wieder neue Energie. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte sie. Das Kind, das in Kasachstan auf sie wartete, würde ihr Leben gewaltig auf den Kopf stellen. Aber vielleicht würden diese Veränderungen ja auch Seans Einstellung zu Kindern beeinflussen?
In ihrer jetzigen hoffnungsvollen Stimmung hielt sie alles für möglich.
6. KAPITEL
Es war inzwischen über sechs Monate her, dass Sean zuletzt die schmale Landstraße nach Mayfair entlanggefahren war. An diesem kühlen, aber sonnigen Samstagmorgen Ende Januar waren nur wenige Autos unterwegs, sodass er unerwartet schnell vorankam.
Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, dieses Wochenende nach Mayfair zu fahren. Die Idee dazu war ihm so spontan gekommen, dass Charlotte noch gar nichts davon wusste. Natürlich hätte er sie vorher anrufen können, doch er hatte nicht riskieren wollen, dass sie Einwände gegen sein Kommen erhob.
Denn als er bei Tagesanbruch aufgewacht war, hatte er eine seltsame Rastlosigkeit und eine starke Sehnsucht nach Charlotte verspürt. Kurz entschlossen hatte er sämtliche Sachen im Wagen verstaut, die er für das Mädchen aus Kasachstan besorgt hatte, und war nach Mayfair aufgebrochen.
Seitdem Charlotte überraschend vor seiner Tür aufgetaucht war, waren zehn Tage vergangen – zehn lange Tage und Nächte, in denen er sich zunehmend verloren und einsam gefühlt hatte. Sie war zwar nur eine Nacht im Stadthaus gewesen, doch die Räume schienen noch lange von ihrer Gegenwart erfüllt zu sein. Er hatte sie gelegentlich angerufen – vermutlich öfter, als ihr lieb war –, aber irgendwann hatte ihm das einfach nicht mehr gereicht.
Als er einen Blick auf die vielen Kartons und Tüten auf dem Rücksitz warf, wurde ihm bewusst, dass er es mit dem Einkaufen etwas übertrieben hatte. Natürlich hatte er Charlotte damit auch Zeit und Mühe ersparen wollen. Aber wenn er ganz ehrlich mit sich war, musste er sich eingestehen, dass ihm die Besorgungen für das kleine Mädchen am anderen Ende der Welt großen Spaß gemacht hatten.
Katie fügte er im Stillen hinzu. Charlotte hatte sich für diese Version des Geburtsnamens Katya der Kleinen entschieden, den die Agentur ihnen vor einigen Tagen mitgeteilt hatte.
Sean hatte veranlasst, dass die von ihm gekauften Möbel – ein Bettchen, ein Schrank, eine Wickelkommode und ein Schaukelstuhl – direkt nach Mayfair geliefert werden würden, sobald Charlotte mit dem Streichen und Tapezieren des Kinderzimmers fertig war. Doch die anderen Sachen – einen Hochstuhl, einen Buggy, ein altmodisches Schaukelpferd, ein leuchtend rosa Dreirad und ein halbes Dutzend Stofftiere – wollte er lieber persönlich vorbeibringen.
Vielleicht konnte er Charlotte bei der Gelegenheit ja gleich beim Renovieren helfen. Vorsorglich hatte er ein paar Kleidungsstücke und einen Kulturbeutel eingepackt, falls ihm ein geeigneter Vorwand einfiel, über Nacht oder sogar bis Montag früh zu bleiben.
Kurz vor Mayfair wurde der Verkehr dichter, doch das war nichts Ungewöhnliches an einem sonnigen Samstagmorgen. Die Stadt war zwar nicht besonders groß, hatte jedoch ein Einkaufszentrum, und die vom Hurrikan Katrina verschonte Altstadt zog das ganze Jahr über Touristen an. Die schmalen, von kleinen Läden und Restaurants gesäumten Bürgersteige waren bereits voller Passanten.
In den letzten sechs Monaten schien sich hier nicht viel verändert zu haben, wie Sean beim Durchqueren der Stadt feststellte. Im südlichen Teil fuhr er an der Highschool vorbei, an der Charlotte arbeitete. Sie hatte einen ausgezeichneten Ruf. Mayfair war nicht nur wunderschön, sondern auch ein idealer Ort, um Kinder großzuziehen.
Zwei Meilen weiter gelangte er zu der Straße, die zu ihrem Haus führte. Kurz bevor er abbiegen musste, überkam ihn auf einmal eine ungewohnte Unsicherheit. Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, Charlotte nicht über sein Kommen zu informieren. Für gewöhnlich war er nicht so unhöflich.
Außerdem konnte er nicht davon ausgehen, dass sie sich über sein plötzliches Auftauchen freuen
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