Nur mit dir sind wir eine Familie
ist so quengelig, dass ich Angst habe, sie noch mehr zu verstören.“
In den letzten Tagen hatten Charlotte und Sean immer auf dem Fußboden gesessen und waren täglich ein Stück dichter an das kleine Mädchen herangerückt. Inzwischen waren sie nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt.
„Vielleicht lässt sie ja zu, dass du ihre Stirn berührst“, schlug Sean vor. „So könntest du fühlen, ob sie Fieber hat.“
„Ihr Gesichtchen ist ganz rot, aber es ist heute auch besonders warm und stickig hier drin“, murmelte Charlotte. Dann, als könne sie sich nicht länger zurückhalten, strich sie ihrer Tochter vorsichtig eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Arme Katie“, sagte sie voller Mitgefühl. „Dir geht es heute gar nicht gut, oder?“
Katie hob das Gesicht und sah Charlotte aus großen braunen Augen an. Ihr Blick war wie immer nachdenklich, aber Angst war nicht darin zu erkennen. Eine ganze Minute lang streichelte Charlotte dem kleinen Mädchen immer wieder sanft übers Haar. Dann, zu Seans und Charlottes Überraschung, krabbelte die Kleine langsam auf allen vieren zu ihrer Adoptivmutter hinüber, kletterte auf ihren Schoß und steckte den Daumen in den Mund.
Sean war zutiefst gerührt, als er den verblüfften und dankbaren Blick seiner Frau sah. Endlich war der große Augenblick da, nach dem Charlotte sich so verzweifelt gesehnt hatte. Die neue Nähe zwischen Mutter und Tochter mitzuerleben, war eine großartige Erfahrung.
„Ach, meine Kleine“, murmelte Charlotte und rieb sanft Katies Rücken. „Süßes, süßes kleines Mädchen …“
„Ich wünschte, ich könnte euch beide fotografieren – meine zwei Mädchen“, sagte Sean. „Aber ich will Katie keine Angst machen, indem ich ausgerechnet jetzt die Kamera heraushole.“
„Sie scheint kein Fieber zu haben“, stellte Charlotte fest. „Ich glaube, sie ist einfach nur müde.“
„Und eindeutig froh, auf dem Schoß ihrer Mutter zu sitzen“, fügte Sean lächelnd hinzu.
„Stimmt, sie wirkt sehr zufrieden, oder?“ Charlotte erwiderte sein Lächeln glücklich.
„Da, ihr fallen schon die Augen zu“, sagte Sean. „Willst du dich nicht mit ihr in den Schaukelstuhl setzen?“
„Nein, so unbequem ist es auf dem Fußboden gar nicht.“
„Vielleicht könntest du ein Stück zurückrutschen und dich gegen die Wand lehnen“, schlug er vor.
„Ich habe eine bessere Idee. Warum nimmst du nicht die Polster von den Sesseln, stellst sie gegen die Wand und setzt dich zu uns?“
„Gute Idee. Aber jetzt, wo sie eingeschlafen ist, werde ich erst mal ein paar Fotos machen.“
Es gelang Sean, sechs Fotos von Charlotte und Katie zu schießen, ohne die Kleine zu wecken. Danach baute er aus den Polstern eine Art Nest und setzte sich hinter Charlotte. Behutsam nahm er seine Frau, die die friedlich schlafende Katie wiegte, in die Arme, und küsste ihre Schläfe.
„Ist es nicht wunderschön so?“, fragte seine Frau nach ein paar Minuten und wandte den Kopf, um ihn anzusehen.
Ihre Augen strahlten vor Glück. Sean hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder das Gefühl, dass seine Welt in Ordnung war. Und das hatte er zum größten Teil einem schlafenden Kind zu verdanken.
Er wusste, dass sie von außen wie eine glückliche Familie wirken mussten – Mutter, Vater und Tochter, verbunden durch gegenseitige Liebe, Verständnis, Respekt, Fürsorge und Aufmerksamkeit. Das Erstaunlichste war, dass diese Erkenntnis ihm gar keine Angst machte. Im Gegenteil, er empfand einen tiefen Frieden und ein intensives Glücksgefühl.
„Ja, ist es“, antwortete er und gab Charlotte einen Kuss auf die Lippen. „Sehr schön sogar.“
Schweigend saßen sie so zusammen, bis etwa zwanzig Minuten später Elmira in der Tür auftauchte, um Katie abzuholen. Viel zu schnell war die Zeit vergangen. Als Katie aufwachte, spürte Sean, dass Charlotte sich unwillkürlich verkrampfte, doch die Kleine setzte sich nur auf und blinzelte Charlotte schläfrig an.
„Na, meine Liebe?“, sagte sie zärtlich. „Fühlst du dich jetzt besser?“
Katie hob die Hand und berührte Charlottes Wange. „Ba“, brabbelte sie. „Baba.“ Dann richtete sie den Blick auf Sean und fügte hinzu: „Bababa.“ Kichernd wippte sie in Charlottes Armen hin und her.
„Das betrachte ich mal als ein Ja“, sagte Charlotte zu dem Kind.
Elmira und Marta wechselten ein paar Worte miteinander, und Marta teilte ihnen bedauernd mit, dass die Betreuerin die Kleine jetzt zum Abendessen ins
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