Nur Mut, liebe Ruth
Bär, die Sie
suchen?“ fragte der Junge.
„Aber nun nimm doch Vernunft
an, sie kann es nicht sein“, behauptete das Mädchen.
Während die beiden sich noch
zankten, ging die Dame weiter. Die Kinder rollten ihr nach.
Ruth ärgerte sich über sich
selber. Warum hatte sie nicht gefragt: Was wollen Sie von Frau Bär? — Oder
gebeten: Warten Sie einen Augenblick, Katrin, Frau Bärs Enkelin, kommt gleich!
Statt dessen hatte sie wieder
einmal vor lauter Schüchternheit den Mund nicht aufgebracht. Jetzt hätte sie
sich selbst ohrfeigen können. Wenn Katrin doch dabeigewesen wäre, die hätte
sich nicht gefürchtet!
In diesem Augenblick kam Katrin
leibhaftig aus der Eingangshalle des Hochhauses herausgesaust, und Ruth stürzte
auf sie zu, schon drauf und dran, ihr alles von der sonderbaren Dame mit der
Perücke zu erzählen. Aber als sie mit Katrin zusammentraf, klappte sie
plötzlich den Mund wieder zu. Es war ihr klargeworden, daß es Katrin womöglich
einfallen könnte, hinter der Dame herzulaufen, anstatt sie zur Gärtnerei zu
begleiten.
Katrin hakte sich bei ihr unter
und zog sie mit sich. „Was ist denn los?“ fragte sie.
„Wieso? Was soll denn los
sein?“
„Du hast vorhin so’n komisches
Gesicht gemacht!“
„Ich war bloß froh, daß du
endlich auftauchtest“, behauptete Ruth, „du hast mich ziemlich lange zappeln
lassen.“
Das klang glaubhaft, und Katrin
schluckte diese Erklärung ohne Mißtrauen. „Ach, weißt du“, sagte sie, „meine
Mutter saß unter der Trockenhaube, und da habe ich erst den ganzen Laden
durchforschen müssen, bevor ich sie überhaupt gefunden habe, und dann mußte sie
mir natürlich das übliche Zeugs erzählen: Komm nicht zu spät! und: Hast du auch
ein Taschentuch bei dir? Und all das. Darin ist sie ganz komisch, aber, ehrlich
gestanden, mich stört’s nicht. Es gibt einem das Gefühl, daß man... irgendwie
wichtig ist.“ Während Katrin plauderte, hatten die Mädchen das Ende des
Häuserblocks und den Rand des Bürgersteiges erreicht.
Da kamen die Rollschuhläufer
angesaust und schrien von fern: „Katrin! Katrin!“
Katrin blieb stehen und drehte
sich um. „Was wollen die denn?“ Ruth wußte es ganz genau, und deshalb sagte sie
rasch: „Ist doch egal! Um Himmels willen komm jetzt! Es ist sowieso schon spät
geworden.“
Sie zerrte an Katrins Arm, denn
sie hatte eine Heidenangst, Katrin könnte erfahren, daß sie sie angeschwindelt
hatte. Sie war mächtig erleichtert, als Katrin sich mit auf die Fahrbahn ziehen
ließ und dabei murmelte: „Die spinnen sich wahrscheinlich wieder mal was
zusammen!“
Die Rollschuhläufer blieben
sozusagen am anderen Ufer zurück, und Ruth und Katrin zogen weiter. Sie redeten
über alles mögliche miteinander, und bald hatte Ruth die sonderbare Dame fast
vergessen — aber doch nur fast, denn wenn man weiß, daß man sich dumm benommen
hat, dann läßt sich das nicht so ohne weiteres abschütteln.
Aber nach einiger Zeit hatten
sie die Schrebergärten erreicht, und das, was vor ihnen lag, wurde wichtiger
als die Vergangenheit. Es ging Ruth merkwürdig: Jetzt, wo Katrin bei ihr war,
fürchtete sie sich nur noch halb so sehr vor dem wütenden Schäferhund, und sie
sagte das auch der Freundin.
Katrin lachte. „Da siehst du,
daß deine ganze Angst doch nur mehr oder weniger Einbildung ist! Denn wenn er
dich wirklich zerreißen wollte, was könnte ich da schon machen? Ich bin zwar
ein bißchen stärker als du, aber bestimmt nicht stark genug, um mit einem
ausgewachsenen Wolf fertig zu werden.“ Sie wurde plötzlich nachdenklich.
„Allerdings...“
„Was?“ fragte Ruth.
„Na, ich habe mal irgendwo
gelesen, daß man einem wütenden Hund nur ganz fest die Faust in den Rachen zu
stecken braucht. Dann kann er nicht mehr zubeißen und ist kaltgestellt. Aber das
würde ich mir denn doch nicht zutrauen.“
Sie näherten sich jetzt dem
einsamen grauen Haus, und noch ehe sie den Hund sehen konnten, hörten sie sein
wütendes Blaffen.
„Hm ja“, sagte Katrin und zog
die Nase kraus, „klingt recht eindrucksvoll!“
Unwillkürlich verhielt Ruth den
Schritt.
„Na, komm schon“, sagte Katrin,
„jetzt wollen wir uns das Ungeheuer doch mal aus der Nähe ansehen!“
Sie zog Ruth mit sich um die
Ecke, und sie standen dem Schäferhund gegenüber, der, genau wie vorhin, gegen
das hohe Gitter sprang und aus vollem Halse bellte.
Katrin starrte ihn höchst
interessiert an, während Ruth am liebsten wieder davongelaufen wäre und
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