Nur Mut, liebe Ruth
harmloser, guter Junge. Er regt sich nur auf, wenn er
eingesperrt ist oder wenn er glaubt, daß er mich und mein Eigentum bewachen
muß. Soll ich ihn loslassen? Aber lauft nicht weg und versucht auch nicht ihn
anzufassen, das könnte er mißverstehen.“
„Nur zu“, sagte Katrin.
„Aber warum darf man ihn denn
nicht anfassen, wenn er so harmlos ist?“ fragte Ruth.
„Weil er dich nicht kennt, du
Dumme!“ erklärte Katrin. „Du hast es ja bestimmt auch nicht sehr gerne, wenn
wildfremde Menschen dich streicheln, oder?“
„Achtung!“ rief der alte Herr
und ließ den Hund los.
Arco kam in großen Sprüngen auf
die Mädchen zu. Ruth stand ganz starr und steif, und Katrin spürte, wie sie
zitterte. Der Hund schnupperte an ihnen und wedelte mit dem Schwanz. Dann
setzte er sich genau vor Ruth hin und hob die Pfote.
„Er mag mich!“ rief Ruth ganz
bestürzt. „Du, Katrin, ich glaube, der mag mich!“
„Ja, das scheint mir auch so“,
erklärte der alte Herr lächelnd, „du kannst ihm ruhig die Pfote schütteln!“
Ruth tat es. „Darf ich ihn auch
mal streicheln?“ fragte sie.
„Jetzt schon, jetzt habt ihr ja
Bekanntschaft geschlossen.“
Ruth kraulte den Hund hinter
den Ohren, sagte: „Guter Arco, braver Arco!“ und konnte sich kaum noch
losreißen.
„Na siehst du“, sagte Katrin,
„nun wirst du doch zugeben, daß du dich vorhin ganz umsonst gefürchtet hast!“
„Ja, wahrhaftig“, rief Ruth
vergnügt, „schön blöd war ich.“
Sie spielten mit dem Hund, bis
der alte Herr ihn wieder zu sich rief. Dann bedankten sie sich und liefen eilig
weiter bis zur Gärtnerei. Gemeinsam suchten sie die Blumen für Ruths Mutter aus
und machten sich dann auf den Heimweg.
Als sie an dem einsamen Haus
vorbeikamen, bellte Arco wieder wie verrückt.
Aber diesmal fürchtete Ruth
sich nicht mehr. Sie rief: „Hallo, Arco, alter Freund! Kennst du mich denn
nicht mehr?“
Und Katrin mahnte: „Halt doch
die Schnauze, du Angeber! Du kannst uns mit deinem Gebell nicht mehr
imponieren!“
Stolz wie eine Olympiasiegerin
kam Ruth mit ihren Blumen zu Hause an, und Vater, Mutter und Bruder gaben zu,
daß sie im Grunde gar nicht damit gerechnet hatten.
„Weißt du, wir dachten immer,
du hättest so Angst vor diesem Schäferhund“, sagte Frau Kleiber.
„Das war einmal!“ gab Ruth
zurück, „was ihr bloß von mir denkt!? Schließlich bin ich doch kein Baby mehr.“
Sie fühlte sich mindestens so
gehoben, als wenn sie eine Goldmedaille gewonnen hätte. An die Dame mit der
Perücke und daran, daß sie Katrin beschwindelt hatte, dachte sie gar nicht
mehr.
Ein
interessanter Fall
Am Mittwoch darauf kam Katrin
ganz verstört in die Schule.
„Stellt euch bloß vor, meine
Oma ist beklaut worden!“ schrie sie und schleuderte die Schulmappe mit Schwung
auf ihren Tisch.
Im Nu war sie von ihren
Mitschülerinnen umringt, und allen voran drängten sich natürlich die
Freundinnen Silvy, Leonore und Ruth; es war fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn,
und Olga war noch nicht eingetroffen.
Die Anwesenden bestürmten
Katrin mit Fragen, und sie genoß es trotz ihres Kummers sichtlich, im
Mittelpunkt des Interesses zu stehen.
Nur Silvy Heinze sagte
mißtrauisch: „Na, ich bin mal gespannt, was du dir da wieder mal für eine
Räubergeschichte ausgedacht hast!“
Katrin schwang sich neben ihre
Mappe auf den Schultisch und erklärte ernsthaft: „Ja, es ist eine richtige
Räubergeschichte, nur daß sie nicht erfunden, sondern wirklich passiert ist!
Also paßt auf! Gestern nachmittag wollte meine Großmutter zur Post gehen und
die fälligen Raten für unsere neuen Möbel zahlen... ihr wißt ja, wir haben eine
neue Wohnung und deshalb...“
„Geschenkt“, rief Silvy
dazwischen, „dank deiner bemerkenswerten Mitteilungsfreudigkeit gibt es
niemanden unter uns, der darüber nicht Bescheid weiß!“
Die meisten lachten, aber
Leonore Müller gab Silvy einen kräftigen Stoß in die Seite und sagte: „Das war
nicht gerade taktvoll!“
„Oh, macht gar nichts“,
erklärte Katrin und baumelte mit den Beinen, „ich bin nicht empfindlich.
Wahrscheinlich hat Silvy recht, und ich rede wirklich zuviel. Das soll von nun
an anders werden. Geht auf eure Plätze, Freunde, die Sitzung ist hiermit
geschlossen!“
„Aber das kannst du uns doch
nicht antun!“ rief Ruth ganz entsetzt.
„Doch. Kann ich. Wer an einem
Tatsachenbericht interessiert ist, kann ja in der Pause zu mir kommen.“ Sie
rutschte vom Tisch, setzte
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