Nur Mut, liebe Ruth
sich
ängstlich hinter ihrem Rücken verbarg.
„Nun gib bloß nicht so an,
alter Junge“, sagte Katrin, „du kannst ja doch nicht heraus, das weißt du so
gut wie wir!“
„Aber vielleicht kann er doch!“
flüsterte Ruth ihr zu. „So hoch ist das Gitter gar nicht, und ich hab schon mal
in einem Film Polizeihunde gesehen...“
Katrin fiel ihr ins Wort.
„Nein, er kann nicht!“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil ich ein denkender Mensch
bin!“
Der Hund geriet immer mehr
außer sich, und das Gitter bebte unter seinen wilden Sprüngen.
„Bitte, bitte, laß uns gehen!“
flehte Ruth.
„Dies hier“, sagte Katrin, „ist
eine öffentliche Straße! Wenn dieser Riesenköter aus seinem Zwinger
herauskönnte, müßte er schon mal jemand gebissen haben. Hätte er schon mal
jemanden gebissen, wäre er nicht mehr in jenem Zwinger. Also komm, gehen wir
weiter und kümmern wir uns gar nicht mehr um den albernen Kerl.“ Aber Ruth ließ
sich nicht mitziehen. Sie stemmte sich mit beiden Beinen fest gegen den Boden
und wimmerte: „Ich trau mich nicht!“ Katrin ließ sie so plötzlich los, daß sie
stolperte und beinahe hingeschlagen wäre. „Du glaubst mir nicht? Gut, dann
werde ich dir beweisen, daß ich recht habe!“
Katrin drehte sich um und
marschierte geradewegs auf die Türe des grauen Hauses zu. Sie hob den Finger
und drückte auf den untersten Klingelknopf.
Ruth blieb in respektvoller
Entfernung. „Was hast du vor?“ fragte sie erschrocken.
Aber Katrin antwortete nicht
darauf, sondern brachte sie mit einer hoheitsvollen Handbewegung zum Schweigen.
Die Haustüre wurde von innen geöffnet, und ein alter Herr erschien auf der
Schwelle. Er hatte schneeweißes dichtes Haar und freundliche blaue Augen.
Katrin machte einen höflichen
Knicks. „Guten Tag“, sagte sie, „wir kommen wegen Ihrem Hund!“
„Wegen Arco?“ fragte der alte
Herr ganz erschrocken. „Ist ihm etwas passiert?“
„Nein, das nicht. Aber meine
Freundin hat Angst, an seinem Zwinger vorbeizugehen, und deshalb wollte ich Sie
fragen, ob er da überhaupt heraus kann?“
„Über das Gitter? Nein, das
kann er nicht.“
Katrin wandte sich
triumphierend um. „Na, siehst du!“
„Aber... das können Sie doch so
genau nicht wissen“, stotterte Ruth, „ich meine, wenn das Gitter nun
kaputtgeht! Das könnte doch passieren, und dann...“
„...würde er wahrscheinlich
ganz friedlich sein.“ Der alte Herr lächelte. „Arco ist eine Seele von einem
Hund!“
„Warum bellt er dann so wütend?“
„Ja, das möchte ich auch
fragen“, unterstützte Katrin sie, „er schaut einen an, als ob er einen am
liebsten fressen möchte.“
„Weil er eingesperrt ist!“
sagte der alte Herr. „Komm nur mal mit herein...“
„Nein“, sagte Katrin, „das
dürfen wir nicht. Leider. Wir dürfen nicht zu fremden Leuten ins Haus gehen.“
Der alte Herr war gar nicht
beleidigt. „Ganz richtig“, sagte er, „entschuldigt bitte, daß ich daran nicht
gedacht habe. Aber wißt ihr, meine eigenen Kinder sind schon recht groß, und da
vergißt man so manches. Wie wäre es, wenn ich Arco zu euch herausbrächte?“
„O ja!“ rief Katrin begeistert.
„Lieber nicht!“ rief Ruth im
gleichen Augenblick.
„Nun, vielleicht könntet ihr
euch einigen!“ sagte der alte Herr lächelnd.
„Bitte, bringen Sie ihn
heraus“, sagte Katrin, „meine Freundin möchte sich nämlich das Fürchten
abgewöhnen, und dafür ist es doch ungeheuer wichtig, überhaupt erst mal
festzustellen, ob man einen Grund zum Fürchten hat oder keinen.“
„Das ist gar nicht so dumm“,
sagte der alte Herr, „also, bleibt stehen. Ich bringe euch den Arco.“ Er
verschwand wieder im Haus und zog die Türe hinter sich zu.
„Ich habe Angst“, gestand Ruth
bibbernd.
Katrin trat zu ihr, legte ihr
den Arm um die Schultern und sagte gönnerhaft: „Nun hab dich man nicht,
Kleine!“
„Du hast gut reden! So mutig
bist du ja auch nicht, sonst wärst du mit dem alten Herrn ins Haus gegangen!“
„Das, meine Liebe“, sagte
Katrin sehr von oben herab, „wäre kein Mut, sondern bodenloser Leichtsinn
gewesen. Vor Menschen, die man nicht kennt, sollte man sich mehr in acht nehmen
als vor fremden Hunden.“
Arco hatte aufgehört zu bellen,
und die Mädchen fanden es auf einmal geradezu unheimlich still. Dann kam der
alte Herr wieder aus dem Haus. Er führte den Schäferhund an einer kurz
gehaltenen Leine mit sich.
„Da habt ihr euren Freund“,
sagte er, „er ist ein
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