Nur Mut, liebe Ruth
und hat die
Frauen ausgefragt... denn es ist ja vormittags gewesen, wo nur Frauen und
kleine Kinder zu Hause waren... ob jemand eine verdächtige Person bemerkt
hat...“
„Wie soll sie denn ungefähr
ausgesehen haben? fragte Ruth zaghaft.
„Graues Kostüm, weiße Bluse,
dunkles Haar“, sagte Katrin wie aus der Pistole geschossen, „zwei Kinder wollen
so jemanden gesehen haben, aber das war am Samstag, kommt also sowieso nicht in
Frage, und eine richtige Beschreibung konnten sie auch nicht liefern. Trotzdem
hat der Inspektor sie vorsichtshalber mit ins Präsidium genommen, und da sind
sie von einer weiblichen Beamtin verhört worden. Aber abends waren sie wieder
zu Hause.“ Ruths Herz sank ein ganzes Stockwerk tiefer. Nein — bei allem guten
Willen: von der Kriminalpolizei verhört zu werden, das war mehr, als sie
aushalten konnte. Bei dem bloßen Gedanken daran wäre sie schon fast in Tränen
ausgebrochen.
Eben noch war sie fest
entschlossen gewesen, Katrin alles zu sagen, was sie wußte. Aber schon hatte
sie wieder den Mut verloren.
„Komisch“, sagte Leonore,
„solche Geschichten liest man sonst nur in der Zeitung...“
„Oder sieht sie im Fernsehen!“
warf Olga ein.
„Aber daß jemandem, den man
kennt, so etwas passieren könnte, daran denkt man gar nicht!“ fuhr Leonore
fort.
„Nun, wie wir sehen, Katrin ist
es passiert“, sagte Silvy, nicht frei von Gehässigkeit, „oder vielmehr ihrer
Großmutter. Aber Katrin ist’s, die sich in diesem Ruhm sonnen darf.“
Katrin holte tief Atem. „Meine
liebe Silvy, was bist du doch für eine miese, boshafte...“
„Nicht, bitte nicht!“ rief
Leonore dazwischen. „Zankt euch nicht, ihr beide, das führt doch zu nichts!“
„Na, dir zuliebe will ich mal
Gnade vor Recht ergehen lassen, Leonore“, sagte Katrin, „aber eines möchte ich
doch feststellen: Silvy weiß nicht mehr, was sie redet. Du lieber Himmel, könnt
ihr euch vorstellen, was es für uns bedeutet, dreihundert Mark so einfach
verloren zu haben? Wir haben alles Geld in die Wohnung und in die Möbel
gesteckt, und jetzt muß sich meine Mutti einen Vorschuß geben lassen, bloß um die
fälligen Raten bezahlen zu können! Soll ich euch was sagen? Geweint hat sie
gestern abend vor lauter Verzweiflung. Und da tut Silvy, diese ganz und gar
dämliche Person, so, als wenn mir das Ganze ein Vergnügen wäre. Man sollte es
nicht für möglich halten!“
Die Mädchen schwiegen
betroffen. Katrins muntere Art hatte sie tatsächlich über den Kern der Sache
hinweggetäuscht, jetzt erst begann ihnen die ganze Tragweite des Geschehens
allmählich zu dämmern.
Als die Schulglocke das Ende
der Pause ankündigte, schlug Ruth sich auf Katrins Seite. „Du!“ Sie zupfte die
Freundin am Ärmel. „Ich kann dir nicht sagen, wie leid mir das Ganze tut...“
„Glaub ich dir ja.“
„Ich habe ein bißchen was auf
meinem Sparkassenbuch. Vielleicht... wenn ich meine Mutter frage...“
Katrin sah mit großen Augen auf
sie herab. „Du willst mir Geld leihen?“
„Ja, warum denn nicht? Du
brauchst es mir gar nicht wiederzugeben, ich...“
Katrin tippte sich auf die
Stirn. „Bei dir piept es wohl! Nein, halt du mal deine Spargroschen schön
beieinander. Und mach dir meinetwegen keine Sorgen. Wir Bärs sind ein starkes
Geschlecht. Wir sind schon mit ganz anderen Sachen fertig geworden. Ein paar
hundert Mark mehr oder weniger werfen uns bestimmt nicht um, darauf kannst du
dich verlassen!“
Kleinlaut schwieg Ruth still.
Ruth mausert
sich
Ruth hatte ein furchtbar
schlechtes Gewissen.
Mitten in der Nacht wachte sie
auf und konnte nicht wieder einschlafen. Es war ihr, als wenn sie ganz alleine
daran schuld wäre, daß man der alten Frau Bär das unter Opfern zurückgelegte
Geld gestohlen hätte.
Vergebens suchte sie sich
einzureden, daß ja ebensogut alles ein Irrtum sein könnte. Wer sagte ihr denn,
ob die komische Dame mit der Perücke tatsächlich die Trickdiebin gewesen war
und ob es überhaupt etwas genutzt hätte, wenn sie mit Katrin über ihre
Beobachtung gesprochen haben würde.
Aber das alles waren nur
schwache Tröstungen, die Ruth nicht über die entscheidende Tatsache
hinweghelfen konnten, daß sie aus Feigheit und Selbstsucht geschwiegen hatte,
wo sie hätte reden müssen.
In der Nacht sah alles noch
viel schlimmer aus als am Tage. Ruth stellte sich vor, wie Katrin und ihre
Familie buchstäblich Hunger litten, um das verschwundene Geld wieder
einzusparen. Dabei hatte
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