Nur Mut, liebe Ruth
schlecht. Sie mußte sich setzen.
Die anderen waren weniger
beeindruckt.
„Aber“, sagte Silvy, „das sind
doch alles nur Vermutungen!“
„Ja, das finde ich auch“,
stimmte Leonore ihr zu, „man muß sehr vorsichtig sein, ehe man Verdächtigungen
ausposaunt.“
„Da sieht man es wieder mal,
aus dir spricht die Tochter eines Rechtsanwalts“, gab Katrin zurück, „aber
tatsächlich...“
Was tatsächlich geschehen war,
sollten die Mädchen nicht so rasch erfahren, denn der Eintritt Dr. Künzels, des
Mathematiklehrers, bereitete der Unterhaltung ein jähes Ende. Die Mädchen
stoben auseinander, und jede suchte so rasch wie möglich ihren Platz auf.
Dr. Künzel merkte an den
erhitzten Gesichtern seiner Schülerinnen, daß etwas Besonderes vorgefallen war,
aber er fragte nicht danach. Für ihn gab es, so glaubten jedenfalls die
Mädchen, außer Mathematik nichts Interessantes in der Welt, und er hatte eine
Art, den Unterricht zu gestalten, daß keiner Gelegenheit blieb, zu träumen oder
ihre Gedanken auf den gewundenen Pfaden der Phantasie spazierenzuführen.
Nur Ruth Kleiber war in der
nächsten Dreiviertelstunde nicht ganz bei der Sache. Sie dachte: O Jammer,
bestimmt war es diese komische Dame, die die alte Frau Bär bestohlen hat! Ich
hatte doch gleich das Gefühl, daß etwas mit ihr nicht in Ordnung war. Die
Perücke paßte überhaupt nicht zu ihr. Und dann diese seltsame Art, die Kinder
auszufragen. Ach, hätte ich doch mit Katrin darüber gesprochen, dann hätte sie
ihre Großmutter warnen können, und dann wäre das Geld nicht gestohlen worden. Ich
muß es Katrin beichten, ja, wirklich, das muß ich tun, denn sonst kann ich ihr
nie im Leben mehr gerade in die Augen sehen!
In der kleinen Pause lief sie
auch wirklich zu Katrin hin, aber die war schon wieder von Zuhörerinnen
umgeben, die unbedingt den Schluß der Geschichte hören wollten. Selbst Olga,
die von Leonore Müller mit zwei Sätzen von dem bisherigen Geschehen
unterrichtet worden war, kam aus ihrem Schmollwinkel hervor.
„Los! Raus mit der Sprache!
Woher wollt ihr wissen, daß diese Frau tatsächlich die Diebin war?“ drängte
Silvy.
„Weil meine Mutter das
Rentenamt angerufen und erfahren hat, daß es gar keine Frau Kowalski... so
hatte die gemeine Person sich nämlich genannt... dort gibt und daß sie
überhaupt niemanden in die Häuser schicken, um Renten berechnen zu lassen,
sondern daß sie, wenn so etwas wäre, die Rentnerinnen höchstens zu sich
bestellen würden!“
Aber Silvy war immer noch nicht
überzeugt, oder sie tat wenigstens so. „Wenn man bloß wüßte, wie weit man dir
glauben kann!“ sagte sie von oben herab.
„Bis zur äußersten Grenze der
Wahrscheinlichkeit!“ parierte Katrin ganz ungerührt. „Im Ernst, Freunde, ich
kann es beschwören! Wenn ich nur ein einziges Wörtchen gelogen habe, will ich
in der nächsten Mathe-Arbeit eine Fünf schreiben... na, ist das überzeugend?“
„Katrin“, sagte Leonore, „ich
will wirklich nicht unterstellen, daß du schwindelst, aber wenn das alles
stimmt, dann hättet ihr doch zur Polizei gehen müssen!“
„Ja, was denkst du denn, was
wir sonst getan haben? Natürlich sind wir hin, alle drei zusammen, Großmutter,
Mutter und Kind, und der Kriminalinspektor sagte, daß es sicher so gewesen
wäre, denn sie haben schon mehr Anzeigen dieser Art bekommen. Er sagte, schon
seit ein paar Wochen mache eine Trickdiebin die alten Leute in der Stadt unsicher.
Er hat Großmutter nach allen Richtungen ausgequetscht, um eine genaue
Beschreibung von dieser Frau zu bekommen... aber leider, leider sieht
Großmutter nicht mehr so gut und hat auch nicht genau aufgepaßt, weil sie ja
nicht wußte, daß sie eine Betrügerin vor sich hatte...“
An diesem Punkt wurde der
hochinteressante Bericht von einer vergleichsweise langweiligen Schulstunde
unterbrochen.
Erst in der großen Pause ging
es weiter. Da versammelten sich die Schülerinnen der 6. Klasse unten im Hof um
Katrin, die sich malerisch gegen den Brunnen lehnte und immer wieder den Mund
unter das fließende Wasser hielt, um sich die Kehle anzufeuchten, denn Reden
macht bekanntlich durstig.
„Ja, der Kriminalinspektor war
mächtig enttäuscht, daß Großmutter die Frau nicht richtig beschreiben konnte“,
erzählte Katrin. „Er ist extra noch zu uns gefahren... leider nicht in einem
Funkstreifenauto mit Sirene, sondern mit einem ganz gewöhnlichen Volkswagen...
er ist das ganze Hochhaus abgegangen, von Wohnung zu Wohnung,
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