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Nur Mut, liebe Ruth

Nur Mut, liebe Ruth

Titel: Nur Mut, liebe Ruth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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Katrin doch auch am Tage nach dem Diebstahl ein
kräftiges Frühstücksbrot und einen Apfel mit in die Schule gebracht.
    Ruth konnte die Tränen nicht
länger unterdrücken. Ganz allein in ihrem Bett, inmitten ihres hübschen Zimmers
mit den Schleiflackmöbeln und dem Toilettentisch, lag sie da und weinte in ihr
Kissen hinein. Sie hatte alles, was das Herz begehrt: Eltern, die sie liebten,
einen großen Bruder, der sie verwöhnte, die hübschesten Kleider, Pullover,
Schuhe und Mäntel, die man sich denken konnte, und doch war sie, wie so oft,
todunglücklich.
    „Oh, warum bin ich nur so
ängstlich und so egoistisch und so dumm“, schluchzte sie.
    Ganz, ganz leise wurde die Türe
geöffnet, und ihre Mutter, in Pantöffelchen und einem langen Nachthemd, huschte
ins Zimmer. „Ruthchen“, flüsterte sie, „was ist denn los?“ Sie knipste die
Nachttischlampe an.
    Ruth schloß die Augen und tat
so, als ob sie schliefe. Aber sie konnte nicht verhindern, daß ihr die Tränen
über die Wangen kullerten.
    Frau Kleiber legte ihr die Hand
auf die Schulter und rüttelte sie leicht. „Mein Liebling, was hast du?“
    Mit einem Ruck riß Ruth die
Augen auf und fuhr hoch; sie bot wahrhaftig eine reife schauspielerische
Leistung. „Ist schon Zeit für die Schule?“ stammelte sie.
    „Aber nein“, sagte ihre Mutter
ganz erstaunt, „es ist gerade erst zwölf vorbei.“
    Ruth rieb sich die Augen.
„Warum weckst du mich dann?“ Sie ließ die Hände sinken und starrte ihre Mutter
an. „Ist jemand krank?“
    „Ich dachte, daß du
vielleicht...“ Frau Kleiber legte ihr die Hand auf die Stirne.
    Ruth zwang sich zu einem
kleinen Lachen. „Wie kommst du denn darauf?“
    Die Mutter zog ihre Hand
zurück. „Nein, Fieber hast du keines.“
    „Ja, warum sollte ich denn
auch? Ich bin ja pumperlgesund!“
    „Aber du hast doch eben geweint
und gestöhnt! Ich kam gerade vom Bad, da habe ich es deutlich gehört.“
    „Aber nein“, schwindelte Ruth,
„das kann nicht sein, das müßte ich doch gemerkt haben.“
    „Hast du es wirklich nicht?“
    Ruth schluckte schwer; wie
gerne hätte sie jetzt ihrer Mutter die Arme um den Hals geworfen und den Kopf
an ihre Brust geschmiegt! Nein, ihr gegenüber kannte sie keine Angst, ihr hätte
sie liebend gerne alles erzählt. Aber sie konnte sich nur zu gut vorstellen,
was dann geschehen würde. Die Mutter würde sie trösten und verhätscheln und ihr
einreden, daß sie kein bißchen Schuld hätte. Sie würde sagen, daß sie die Dame
mit der Perücke keinesfalls hätte fragen dürfen, was sie bei der alten Frau Bär
wollte. Kinder hätten sich nun mal nicht in die Angelegenheiten Erwachsener zu
mischen. Und gerade wenn diese Frau tatsächlich eine Diebin wäre, sollte Ruth
doch heilfroh sein, daß sie nichts mit dieser Person zu tun gehabt hätte.
    Wahrscheinlich würde Frau
Kleiber sogar nachträglich noch erschrecken bei dem bloßen Gedanken daran, daß
Ruth beinahe mit einer Verbrecherin gesprochen hätte!
    „Nein“, behauptete Ruth, „keine
Ahnung.“
    „Na, so etwas“, sagte Frau
Kleiber, „dann mußt du im Schlaf geweint haben.“ Sie strich ihrer Tochter über
die Wange. „Sieh mal hier, du bist noch ganz naß von Tränen.“
    „Dann habe ich sicher etwas
Schlimmes geträumt“, sagte Ruth, „wie gut, daß du mich geweckt hast.“
    Sie hoffte, daß ihre Mutter
jetzt endlich beruhigt sein und sich zurückziehen würde, denn wenn ihr auch ein
bißchen Schwindelei nichts ausmachte, so war es doch auf die Dauer recht
anstrengend, immer weiter und weiter und weiter zu lügen.
    Aber so schnell gab Frau
Kleiber sich nicht zufrieden. „Und du hast wirklich keine Schmerzen?“
    „Aber nein, Mutti, bestimmt
nicht. Das würde ich doch spüren.“ Frau Kleiber sah ihre Tochter forschend an.
„Und auch keinen Kummer? Du weißt, du kannst deiner Mutter alles sagen.“
    „Ich habe überhaupt nichts, so
glaube mir doch, Mutti!“
    Frau Kleiber erhob sich.
„Trotzdem werde ich dir zur Beruhigung doch lieber noch eine Tablette geben.“
    Ruth sagte nicht nein, denn
erstens war es doch recht angenehm, so umsorgt zu werden, und zweitens wußte
sie, daß auch ihre Mutter sich besser fühlen würde, wenn sie, Ruth, erst die
Tablette geschluckt hätte.
    Frau Kleiber verließ das Zimmer
ihrer Tochter und kam wenig später mit einem Glas Wasser und einer Tablette
zurück, die Ruth brav hinunterspülte.
    „Gute Nacht, mein Liebling“,
sagte sie dann und küßte Ruth zärtlich auf die Stirne, „du

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