Nur Mut, liebe Ruth
machte sofort einen
Rückzieher. „Na ja. Immerhin... soviel Gedanken wie ihr habe ich mir mindestens
gemacht, und ich glaube sogar, mir ist etwas ganz Vernünftiges eingefallen!“
„Laß hören!“ — „Raus mit der
Sprache!“ — „Wenn du dich da bloß nicht irrst!“ riefen die anderen.
„Ich sage ja gar nicht, daß
mein Plan hundertprozentig ist und daß er klappen muß, aber immerhin könnte man
es mal damit versuchen, und wenn euch das nicht einleuchten sollte, werde ich
mich sogar allein auf die Strümpfe machen...“
„Soll das eine Erpressung
sein?“ rief Silvy dazwischen.
„Nö. Überhaupt nicht. Bloß eine
Feststellung. Damit ihr seht, wie ernst es mir damit ist! Also, paßt auf! Olga
und Leonore, ihr beide erinnert euch doch noch, woher die Perückendame damals
kam, als ich sie das zweite Mal sah? Ich meine, als wir drei auf dem Weg zum
Hallenbad waren?“
„Aus einem Vorgarten!“ rief
Olga.
„Bravo!“ rief Ruth. „Eins zu
null für dich! Genau das meine ich. Sie kam aus einem Vorgarten, und ein
Vorgarten gehört natürlich zu einem Haus, und ich schlage vor, daß wir uns
dieses Haus einmal näher ansehen!“
„Wozu?“ rief Silvy.
„Glaubst du, sie könnte darin
wohnen?“ fragte Olga.
„Es besteht zumindest eine
winzige Möglichkeit, daß es so ist“, sagte Ruth, „die Schillerallee ist keine
Gegend, in der alte einsame Rentner hausen, die man prellen könnte, dort wohnen
nur wohlhabende Leute...“
„Wer sagt dir denn, daß sie
sich nicht hin und wieder auch an reiche alte Leute heranmacht?“ unterbrach
Silvy sie.
„Niemand. Ich denke es mir
nur.“ Ruth hob beschwörend die Hände, als ein allgemeiner Radau von Fragen und
Gegenargumenten losbrach. „Ich sage ja gar nicht, daß ich recht habe!
Vielleicht war sie wirklich nur ganz zufällig in der Schillerallee und kommt
nie wieder dorthin. Aber ich finde, wir könnten uns doch wenigstens dort mal
umgucken. Oder hat jemand von euch eine bessere Idee?“
Nein, die hatte niemand. Es
wurde abgestimmt, und alle, außer Silvy, stimmten für Ruths Vorschlag. Aber als
die anderen sich bereit machten, alleine loszuziehen, erklärte sie würdevoll:
„Ich schließe mich selbstverständlich der Mehrheit an, sonst wäre es ja gegen
die Spielregeln.“
Die anderen wußten nur zu gut,
daß sie einfach keine Lust hatte, allein zu bleiben. Doch niemand verlor ein
Wort darüber.
„Je mehr wir sind, desto
besser“, sagte Ruth, „ich werde ja den ganzen Tag das Haus beobachten müssen,
weil ich die einzige bin, die die Perückendame wirklich erkennen kann, aber ihr
anderen dürft euch ablösen. Zwei, denke ich, müßten immer bei mir sein, für den
Fall, daß sie das Haus verläßt...“
„Warum denn das?“ fragte
Leonore.
„Weil man sie dann verfolgen muß,
und ich kann das nicht, denn sie würde mich vielleicht auch wiedererkennen!“
„Sehr richtig“, erklärte
Katrin, „Ruth, du entwickelst allmählich geradezu beängstigende Geistesgaben!“
„Und eine von euch muß mir
mittags was zu essen bringen“, sagte Ruth. „Kannst du vielleicht meine Mutti
anrufen, Leonore, und ihr sagen, daß ich heute mittag bei dir bleiben darf?“
„Mach ich selbstverständlich“,
sagte Leonore.
„Und ich bring dir was zu
essen, Brot und Obst oder so etwas“, erbot sich Olga, „einen Henkelmann mit
Gemüse, Kartoffeln und Braten wirst du ja wohl nicht erwarten.“
„Der würde mich nur bei meiner
Aufgabe stören“, erklärte Ruth großartig. Sie fühlte sich einfach toll. Zum
ersten Mal tonangebend innerhalb der Clique zu sein, das war schon erhebend.
Leonore wollte auslosen, wer
zuerst mit Ruth gehen sollte, aber es stellte sich heraus, daß keine
zurückbleiben wollte. Es entspann sich eines der üblichen Wortgefechte, das
Ruth mit einem salomonischen Urteil beendete.
„Gehen wir erst einmal alle
zusammen“, sagte sie, „nachher wird es sich ja herausstellen, wem es zuerst
langweilig wird.“
„Sehr richtig!“ rief Katrin.
„Erst einmal müssen wir ja auch feststellen, ob sich die Beobachtung des Hauses
lohnt!“
Bald sollte sich aber
herausstellen, daß eine andere Aufgabe noch vordringlicher zu lösen war; die
Mädchen mußten das Haus auf der Schillerallee, aus dessen Vorgarten die
Perückendame seinerzeit gekommen war, zuerst einmal finden.
Das erwies sich als gar nicht
so einfach, denn alle Häuser hier hatten Vorgärten und sahen auch sonst
ziemlich ähnlich aus. Die meisten waren ehemals
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